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Das Gewusel des Menschen

Saisonfinale Bald ist Sommerpause, da passt eine Komödie aus den Kleingärten gut ins Programmder Komischen Oper. Um russische Usurpatoren geht es mit „Boris Godunow“ an der Deutschen Oper

von Katharina Granzin

Eines der verrückten, tollen Dinge in einer Großstadt ist die Gleichzeitigkeit der Dinge. In Berlin kann man erleben, welchen Reiz es hat, wenn in drei Opernhäusern parallel gearbeitet wird. Zum Beispiel die Opernpremieren des vergangenen Wochenendes: An der Deutschen Oper erlebte eine gediegene Inszenierung von Mussorgskijs „Boris Godunow“ ihre deutsche Premiere, die das Haus aus London übernommen hat. An der Komischen Oper inszenierte erstmals der Regisseur Tobias Kratzer. Er hatte sich mit Rameaus „Zoroastre“ ein nicht so oft gespieltes Stück Alte Musik vorgenommen – und die wenig vorwärtsdrängende, symbolgeschwängerte Handlung mit furchtlosem Zugriff in eine wuselige Spießbürgertragikomödie verwandelt.

Zwei verschiedene Universen. „Boris Godunow“, dessen Libretto Mussorgskij unter Verwendung eines Dramentextes von Puschkin erstellte, ist ein eigentümliches Ding von Oper, in dem der Titelheld verhältnismäßig wenige, vor allem aber wenig heldenhafte Szenen hat: Sie erzählt, wie Boris Godunow, der den Zarenthron nach der Ermordung des rechtmäßigen Thronfolgers bestiegen hat, von Gewissensbissen zerfressen wird und zugrunde geht – wobei ein seinerseits betrügerischer Thronprätendent, der ihm nachfolgt, einen großen Anteil daran hat.

Die Bühne in der Deutschen Oper ist an diesem Abend eine Falle – auch für das Auge, das nirgendwohin schweifen kann, sondern, genau wie die Figuren, immer gleich auf Wände stößt. Miriam Buether hat einen klaustrophobischen Raum auf zwei Ebenen gebaut, auf dessen oberem, galerieartigem Teil im Laufe des Abends immer wieder die Ermordung des jungen Zarewitsch pantomimisch dargestellt wird – eine idée fixe mit Wiederholungszwang. Unten auf der Hauptbühne spielt die eigentliche Handlung – die überwiegend aus Gesprächen besteht und sich nie weit aus dem Bühnenzentrum entfernt. So wird dieser „Godunow“ als ein russisches Königsdrama in einer Abfolge von nur moderat belebten Tableaus dargeboten.

Kraftstrotzendes Forte

Dazu passt die fast grundsätzlich frontale Aufstellung des großen Chores, dem es zu Beginn sogar gelingt, mit verstärkten Bemühungen in den tiefen Lagen, ein geradezu „russisches“ Klangbild herzustellen, das sich aber im Laufe des Abends wieder verliert. Gesungen wird in russischer Sprache, doch das Sprachcoaching, das es laut Programmheft gegeben hat, hat bei vielen Ausführenden keine hörbaren Spuren hinterlassen.

Der kranke Machtmensch Boris Godunow, den der aus Estland stammende Ain Anger stimmlich und darstellerisch überzeugend gestaltet, schlägt sich sprachlich wacker. Der in phonetischer Hinsicht deutlich authentischere Russe aber ist der falsche Thronfolger Dmitrij, bei dem es sich in Wirklichkeit um den amerikanischen Tenor Robert Watson handelt. Es ist allerdings an diesem Abend ohnehin nicht immer sehr gut zu hören, was gesungen wird, da das kraftstrotzende Forte aus dem Orchestergraben zu oft die Solopartien überdeckt. Man hätte sich Mussorgskijs aufregend vielfältige Bühnenmusik viel prononcierter, stärker als Folge von Charakterstücken behandelt gewünscht.

Im Vergleich dazu schlägt das Orchester der Komischen Oper sich am nächsten Abend unter Christian Curnyn gar nicht schlecht; schließlich handelt es sich um ein Opernorchester, das (fast durchweg) auf modernen Instrumenten spielt, und um kein Ensemble für Alte Musik. Wenn man den Streicherklang auch als zu massig empfinden mag und wenn sich auch intonatorische Irritationen hören lassen, so relativiert sich sogar das wieder, wenn man später im Programmheft liest, dass Rameau für die Streicher über weite Strecken Doppelgriffe geschrieben habe (sicher sogar in der Absicht, den Klang akustisch zu verdoppeln).

Der Chor wuselt in Ameisenkostümen hinter der Bühne, übertragen auf eine große Leinwand

Mit Elektrohäcksler

Der stärkste Eindruck, den diese Produktion hinterlässt, liegt aber auf jeden Fall im Visuellen und in der Inszenierung selbst. Tobias Kratzer hat Rameaus „Zoroastre“, in dessen Libretto es um den Kampf zwischen Licht und Dunkelheit, Gut und Böse geht, heruntergeholt aus den philosophischen Symbolwolken des Zeitalters der Aufklärung und eine opulente Bühne bauen lassen, auf der zwei Kleingärtner einander bekriegen. Auf Zoroastres Grundstück blüht alles, und die Frauen lieben ihn. In Abramanes kahlem Garten hingegen herrschen blanker Neid und der zerstörerische Elektrohäcksler. Der Chor wuselt in Ameisenkostümen hinter der Bühne, übertragen auf eine große Videoleinwand. Auf diese Weise wird das mikroskopisch kleine Geschehen zwischen den Grashalmen im Garten zu einem Spiegel des Gewusels der Menschen. Die natürlich, im großen Ganzen gesehen, auch nichts weiter als … und so weiter.

Klar, das haben wir verstanden. Aber die Aufklärung, das Licht und das Dunkel, die Geburt des modernen Menschen und so, das ist alles nur – wie bei den Ameisen? Ach, Mensch, was bleibt da noch. Mach halt das Beste draus. Nimm dir eine Praline aus dem Opernkorb, geh nach Hause und pflege dein Gärtlein.

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