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Der Ruf der Stadtnatur

Sommer Ein Balkon kann Gartenersatz sein oder Abstellkammer, Ort der Geselligkeit oder der Einsamkeit. Was Balkone für Berlin und die BerlinerInnen bedeuten

Von Malene Gürgen

Wenn de Jeld hast, kannste reisen

Wohin dir de Neese schteht:

Uff de Autobahn, uff Jleisen

oder wenn een Luftschiff jeht

Aber fehl ’ dir an der Summe

sarn wa mal, so hundert Mark.

Denn erhebe keen Jebrumme.

Feife uff den janzen Quark!

In Balkonien, in Balkonien

kannste scheen in ’n Urloob wohnien!

Ja, da schtaunste nu, mein Bester:

Wo liecht denn det Land vaschteckt?

Hat man doch die kleensten Nester

uff die Erde längst entdeckt! –

Na, nu rat mal! – Noch keen Schimmer?

Jeht dir noch keen Talchlicht uff?

Na, wo setzte dir denn immer

abends, wenn de ausruhst, ruff?

Siehstewoll! Balkon: Balkonien!

Tritt der Nachbar auf den Balkon, wird höchstens kurz gegrüßt und an­sonsten so getan, als würde man sich gar nicht wahrnehmen

Mensch, da kannste knorke wohnien!

Das Berliner Gedicht „Urloob in Balkonien“ von Hermann Kügler setzte dem Balkon schon in den 30er Jahren ein Denkmal – lange bevor 2004 in Andreas Dresens Berlinfilm „Sommer vorm Balkon“ dort literweise Rotwein floss.

In der Großstadt ist der Balkon ein wichtiger Ort, nicht erst seit die EinwohnerInnen Prenzlauer Bergs ihre Liebe zur Natur entdeckt haben und Kleingartengrundstücke fast so heiß gehandelt werden wie Kindergartenplätze. Wer einen hat, kann sich glücklich schätzen, so ein Balkon lässt sich schließlich vielfältig einsetzen. Fünf Grundtypen der Balkonnutzung in Berlin habe eine seiner Studentinnen einmal in einer Seminararbeit ermittelt, erinnert sich der Stadtforscher Gunter Weidenhaus von der Technischen Universität: Den Garten-, Wohnzimmer-, Tier-, Raucher- und Lagerbalkon gebe es, höchst unterschiedlich verteilt auf die verschiedenen Kieze – wie und warum, erforschte die Studentin leider nicht.

Als „semiprivaten Raum“ klassifiziert seine Kollegin Johanna Hoerning den Balkon – ein Ort, der zwar einerseits ein Fenster zur Außenwelt ist, andererseits von seinen NutzerInnen gern so gestaltet wird, dass er so viel individuellen und intimen Charakter wie möglich erhält. Besonders deutlich wurde das bei den Balkonen an den Plattenbauten der DDR, deren BesitzerInnen es erlaubt war, die Außenwand dahinter selbst zu gestalten, und die davon gerne Gebrauch machten.

Ein Ort der nachbarschaftlichen Kommunikation ist der Balkon Hoernings Beobachtungen zufolge hingegen eher nicht, zumindest nicht mit jenen Nachbarn, zu denen man nicht ohnehin schon ein enges Verhältnis hat: Tritt der Nachbar auf den Balkon, wird meist höchstens kurz gegrüßt und ansonsten so getan, als würde man sich trotz oft sehr geringer Abstände gar nicht wahrnehmen. Als „Gegenraum“ zum Balkon bezeichnet Hoerning das Treppenhaus: Eigentlich ist es nicht zum Verweilen gedacht, trotzdem findet hier in einem Mietshaus oft die meiste nachbarschaftliche Begegnung und Kommunikation statt.

Dem Balkon kommt dafür gerade in der Innenstadt noch die Funktion eines Statussymbols zu: Üppige Pflanzenarrangements zeugen vom gärtnerischen Können der BewohnerInnen, der teure neue Grill kann dort ebenfalls der Außenwelt präsentiert werden. Es gibt allerdings auch das Gegenstück, den Zwangsbalkon: Nachträglich an die Fassade geklatschte Metallgestelle, gern auch direkt über mehrspurigen Straßen und großen Kreuzungen, die statt über die Mieter etwas über die Vermieter verraten: und zwar deren unbedingten Wunsch, mit allen Mitteln die Miete zu erhöhen.

Wer auf dem Balkon sitzt, will meist vor allem eins: seine Ruhe. Das gilt besonders für Randbezirke wie Marzahn-Hellersdorf, wo manche am Schreibtisch ersonnene Maßnahme zur örtlichen Demokratieförderung daran scheitert, dass man „die Leute ja nicht von ihren Balkonen zerren und zum Mitmachen tragen kann“, wie kürzlich eine Mitarbeiterin des Quartiersmanagements seufzte. Uff den janzen Quark feifen, das geht vom Balkon aus eben besonders gut.

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