: Vom Drucker, der sich als Regisseur ausgab
Kino Bildgewaltig ist eine grobe Untertreibung für die Filme, die das Iranische Filmfestival Köln zeigte. Auch dank der gut ausgebildeten Kameraleute
Eine Schnellstraße in Teheran: zwei Autos rasen zum Flughafen. Die jungen Frauen auf den Rückbänken halten Schals aus dem Fenster und versuchen die Hände ihrer Freundinnen aus dem Auto neben sich zu fassen zu kriegen. Unterlegt ist die Szene mit elektronischer Popmusik. Entspricht nicht unbedingt der Vorstellung, die man sich hier oft vom Iran macht.
Die Szenen stammen aus „Dokhtar“ („Tochter“), dem neuesten Film des iranischen Festivallieblings Reza Mirkarimi. Mirkarimi leitet zudem seit letztem Jahr das renommierteste Filmfestival des Irans, das Fajr-Filmfestival in Teheran. „Dokhtar“ erzählt vom Ausbruch der jungen Setareh aus der gefühlten Enge der Erdölstadt Abadan. Setareh will unbedingt zu einer Abschiedsfeier einer Freundin, die ins Ausland zieht, nach Teheran. Der strikte Vater ist dagegen, also tüftelt Setareh einen Plan aus, wie sie unbemerkt trotzdem nach Teheran fliegen kann und rechtzeitig zurück ist, bevor der Vater etwas merkt.
Die Autofahrt bringt Setareh gerade noch rechtzeitig zum Flughafen, doch dann fällt der Flug aus und der Plan bricht in sich zusammen. Erbost fährt Setarehs Vater von Abadan nach Teheran, um sie zu holen.
Ein Tunnelsystem, 2.500 Jahre alt
Zum vierten Mal bot das iranische Filmfestival in Köln vom 24. bis 28. Mai Gelegenheit, einen Überblick über die zeitgenössische Filmproduktion des Iran zu gewinnen. Bildgewaltig ist eine grobe Untertreibung für die Filme des Festivals. Die Bandbreite ist groß und reicht von Mainstreamkomödien wie Kaveh Sabbaghzadehs „Italia Italia“ über Arthouse wie „Dokhtar“ bis zu kritischen Dokumentarfilmen.
Alireza Dehqans „Darkened Water“ greift die desaströse Verschmutzung des Wassers im Qanat von Yazd auf, einem 2.500 Jahre alten unterirdischen Tunnelsystem, das Wasser aus mehreren Quellen in die Stadt leitet. Ein Gewirr von bürokratischen Zuständigkeiten und Korruption hat dazu geführt, dass das Wasser in dem Tunnelsystem von eingeleiteten Abwässern verschmutzt wird und unbrauchbar geworden ist.
Geschickt verbindet Dehqan spektakuläre Bilder des Tunnelsystems und der Landschaft mit nüchternen Interviewsequenzen mit den Beteiligten des Desasters zu einem filmischen Appell zur Rettung des Qanats. Der Dokumentarfilm „Sahnehai az yek talagh“ (Szenen einer Scheidung) der Regisseurin Shirin Barghnavard begleitet ein Paar, das nach seiner Scheidung weiter zusammenlebt. Ein Zusammenleben, das gegen die Gesetze des Iran verstößt. In Gesprächen blickt das Paar zurück auf die schließlich gescheiterte Beziehung.
Als Brücke zwischen den Dokumentarfilmen und den Spielfilmen des Festivals lässt sich die restaurierte Fassung von „Close-up“ des im Juli 2016 verstorbenen Abbas Kiarostami verstehen: In „Close-up“ greift Kiarostami eine Zeitungsnotiz über einen arbeitslosen kinobegeisterten Drucker auf, der sich gegenüber einer wohlhabenden Familie als der Regisseur Mohsen Makhmalbaf ausgibt. Die Familie schöpft Verdacht und zeigt den Drucker an. Dieser wird festgenommen, inhaftiert und vor Gericht gestellt. Kiarostami reinszeniert Teile der Handlung mit den wahren Akteuren der Geschichte. Der „echte“ Mohsen Makhmalbaf holt den Drucker schließlich nach der Entlassung aus dem Gefängnis mit dem Motorrad ab.
Präsenz des Gefängnisses
Wie Mirkarimis „Dokhtar“ist auch das Langfilmdebüt „Another Time“ der Regisseurin Nahid Hassanzadeh getragen von den weiblichen Rollen. Zu Anfang: eine Geburtsszene im Krankenhaus. Somayeh, die Tochter eines Chemiearbeiters in der iranischen Provinz, bekommt ein Kind, während der Vater aufgrund von Protesten wegen nicht gezahlten Löhnen im Gefängnis sitzt. Als seine Freilassung ansteht, nimmt Somayehs Mutter das kleine Kind und will es aussetzen, bevor ihr Mann, sein Großvater, es zu sehen bekommt. Das Iranische Filmfestival Köln hat auch in seiner vierten Ausgabe wieder deutlich gemacht, dass das iranische Kino eines der derzeit aufregendsten der Welt ist.
So werden Kinotraditionen, die mit den Namen der Regisseure Abbas Kiarostami und Mohsen Makhmalbaf verbunden sind, weiter gepflegt, und die Filmhochschule des Landes bringt fortwährend Kameraleute hervor, die scheinbar spielend umwerfende Bilder für die jeweiligen Filme finden. Zugleich ist eine jüngere Generation von Regisseurinnen und Regisseuren auf der Suche nach neuen visuellen und narrativen Formen, um ihrer Lebenssituation gerecht zu werden.
Ein Schwerpunkt war in diesem Jahr Abed Abest gewidmet und seinem visuell abstrahierend-reduziertem Film „Tamaroz“ (Simulation). Wie so viele Kinematografien des Nahen Ostens findet auch das iranische Kino nur selten den Weg in reguläre deutsche Kinos. Durch diese Blindstelle gewinnt das iranische Filmfestival in Köln jedes Jahr mehr an Bedeutung, bietet es doch die seltene Gelegenheit, das iranische Kino der Gegenwart zu erkunden.
Fabian Tietke
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