Busbesuch Der VW Bus gilt seit dem Summer of Love als Freiheitsversprechen – bis heute. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Unser Autor hat einen Brief an seinen Bulli geschrieben: Du alter Spießer
Lieber Nils,
so kann es nicht weitergehen. Wir kennen uns jetzt zwei Jahre, ich habe dich immer vor meinen Freunden mit ihren ÖPNV-Tickets verteidigt. Ja, ich habe dich geliebt. Aber das ist der Tiefpunkt.
Gestern habe ich dich am Straßenrand gefunden. Du warst dreckig und hast gestunken. Dein Reifen war durchstochen, dein Scheibenwischer abgerissen. Du hast dich abschleppen lassen, 15 Minuten von zu Hause entfernt lagst du in der Gosse. Der neue Scheibenwischer, der neue Reifen, der Abschleppdienst, all das hat mich mehr als 250 Euro gekostet.
Ich stehe vor dir, du schaust mich aus deinen traurigen Augen an. Heute frage mich zum ersten Mal ehrlich: Soll ich dich verkaufen?
Dabei hatten wir eine so schöne Zeit zusammen: Vor zwei Jahren habe ich dich gekauft, zusammen mit zwei Freunden und meiner Freundin, klar, ein Teilauto, schließlich sind wir aufgeklärte Großstädter und fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit. Wir gaben dir den Namen Nils, ironisch, aber auch, weil du für uns mehr warst als ein Auto. Ein Freund, ein Versprechen. Wir rechneten und sagten uns, zu viert, das bisschen Steuern und Versicherung, ist ja gar nicht teuer.
Eigentlich bin ich nicht so naiv, eigentlich weiß ich: Freiheit kann man nicht kaufen. Doch bei dir bin ich schwach geworden. Als ich dich zum ersten Mal sah, dachte ich: Was für ein Versprechen. Ich sah mich wochenlang mit dir durch Europa fahren, an verlassenen Stränden schlafen, auf Festivals campen. In deinem Schatten einen Kaffee kochen.
Das war der Traum. Die Wirklichkeit ist: Wenn ich es in den acht Wochen, die der deutsche Sommer bestenfalls währt, endlich schaffe, mit dir an einen Brandenburger See zu fahren, finde ich hinterher einen Strafzettel unter deinem Scheibenwischer: Parken am Waldrand verboten, das Forstamt. 25 Euro.
Ich dachte, ich kaufe mir Freiheit, stattdessen habe ich mir einen Haufen Rechnungen und Verantwortung gekauft. Das Wort „verboten“ hat in meinem Leben noch nie eine so große Rolle gespielt wie mit dir. Ich beschäftige mich mit Versicherungen, Autoteilen und Rückgaberechten. Als hätte ich sonst nichts zu tun.
Vielleicht bist du einfach nicht deutsch, vielleicht passt du besser nach Amerika, wo die Hippies deinen Mythos begründeten, wo es keine Umweltzonen gibt und das Benzin billig ist.
Nils, du hältst mir den Spiegel vor und zeigst mir, wie bigott ich bin. Ich bin links und esse Bio, aber du verbrauchst mehr als zehn Liter Diesel und produzierst eine Abgaswolke, in der mir schwindlig wird.
Ich dachte, du machst mich zum Hippie, dabei werde ich ein immer größerer Spießer. Ich will, dass es in dir ordentlich ist, dass die Sachen an ihrem Platz sind. Seit dem letzten Urlaub hast du einen eigenen Handfeger, um den Sand herauszukehren. Einen Handfeger!
Am letzten Wochenende standen wir zusammen auf einem Campingplatz, auf dem außer uns nur Ostrentner mit Neues Deutschland-Abo Urlaub machen. Wildcampen ist nämlich nicht mehr so romantisch, wenn man ein schreiendes Baby hat. Auf dem Platz hatte laut Campingplatzordnung während der Mittagspause Ruhe zu herrschen. Ich lief mit dem dreckigen Geschirr in der Hand 150 Meter zum Abwaschen und fragte mich: Ist das die Freiheit, die ich wollte?
Du Arsch! Wie bist du überhaupt zu deinem verdammt guten Image gekommen? Dein Urgroßvater, der T1, wollte gar kein besonderes Auto sein, kein Hippietraum. Er war ein Werksauto in Wolfsburg, mit dem schwere Lasten von einer Halle zur anderen gefahren wurden. Als er auf den Markt kam, hieß er schlicht Typ 2, weil er das zweite VW-Auto nach dem Käfer war. 1950 begann die Produktion, er wurde Bulli genannt, eine Verschmelzung aus Bus und Lieferwagen. Vorher gab es vor allem Kleinwagen, Dreiradwagen, wacklige Konstruktionen auf deutschen Straßen. Über zwölf Millionen Mal wurdest du seitdem verkauft.
Du bist in erster Linie also das Auto des Wirtschaftswunders, das nun gar nicht Hippie war, sondern ziemlich deutsch. Eine Anzeige von 1951 zeigt deinen Urgroßvater, Männer in Blaumännern wuchten Holzkisten in den Bulli, in denen bestimmt keine Sonnenblumen transportiert wurden. Und so passt es auch, dass der Erste, der auf die Idee kam, im Bulli zu schlafen, kein Hippie war, sondern ein britischer Offizier, der sich ein Campingbett, einen Kocher und einen Rasierspiegel in seinen Transporter bauen ließ.
Erst danach kamen die Hippies, die dir Blumen aufs Blech klebten – du wurdest Kult. „People in Motion“, heißt es in dem Lied über den Sommer of Love, und damit waren nicht nur tanzende Menschen gemeint, sondern auch deine Pferdestärken. Mit dem Bulli fuhren die Hippies bis nach Afghanistan.
Auch wenn dort heute niemand mehr hinwill: Das ist der Traum, dem ich unterbewusst nachhänge. Wenn ich dich starte, du erst schüchtern stotterst und dann zufrieden brummst, bin ich glücklich. Du beschleunigst langsam, was ich im machohaften Straßenverkehr als Höflichkeit interpretiere.
Von deinem Fahrersitz hat man rundherum freien Blick. Als würde man ein Terrarium fahren, hat Tom Hanks über dich gesagt. Man sitzt hoch über der Straße und fühlt sich sicher. Ich weiß, das ist auch das Argument, das Fußballmamas in Überlingen benutzen, um ihr SUV zu rechtfertigen.
Was hast du aus mir gemacht? Ich habe von Freiheit und Ungebundenheit geträumt. Und bin durch dich unfreier und gebundener als je zuvor.
Einfach spontan in die Sonne fliegen, das geht nicht mehr. Ich muss jeden verdammten Sommerurlaub mit dir verbringen, als wärst du ein Scheidungskind. Sonst würden sich die ganzen Reparaturen noch weniger lohnen.
Als ich dich gekauft habe, war der Traum: alles selber machen. Vier Akademiker und Kulturarbeiter dachten, motorölverschmierte Hände würden sie glücklich machen. Die Wirklichkeit ist: Ich scheitere schon an deinen Glühbirnen.
Nils, wenn ich darüber nachdenke, merke ich: Du hast mich gar nicht betrogen, das war ich selbst. Das Versprechen, mit einem Verbrennungsmotor ein Stück Freiheit kaufen zu können, ist genauso aus der Zeit gefallen wie die Hippies.
Du warst immer ehrlich zu mir. Die Wahrheit ist, ich bin wie du. Ein deutscher Spießer aus Norddeutschland mit einem Abgasproblem. Und wenn ich mit dir auf die Autobahn fahre und mich auf Tütensuppen, Waschhäuser und die Nachtruhe auf dem Campingplatz freue, ist das gar nicht mehr so eine schlechte Aussicht: ein deutscher Spießer zu sein.
Ich hab dich lieb.
Dein Kersten Augustin
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