Der Berliner Wochenkommentar I: Das Ende der Canossa-Gänge
Die BVG wird immer digitaler: Jetzt kann man sich auch endlich die Anreise sparen, wenn man bei der Kontrolle mal das gültige Ticket nicht dabei hatte.
Der Autor ist gerührt: Dass er das noch erleben darf! Die BVG digitalisiert den Nachweis einer gültigen Zeitkarte, wenn man die bei einer Kontrolle in Bahn oder Bus versehentlich nicht dabeihatte! Die Menschheit entwickelt sich also doch weiter.
Zwar ist der unterzeichnete Redakteur schon seit zwei Jahrzehnten nicht mehr per Ausbildungsticket unterwegs (Semestertickets gab es erst später), aber die Erinnerung an Canossagänge zur damaligen BVG-Zentrale am Kleistpark, später Fahrten in eine obskure Außenstelle am Tempelhofer Hafen ist noch frisch. Dort drehte man Däumchen und taxierte die Mitwartenden: Wer war schwarzgefahren, wer durch Vergesslichkeit in diese missliche Lage geraten?
Und jetzt? Kann jeder, der seinen „personalisierten Fahrschein“ nicht vorzuzeigen in der Lage war, diesen einscannen und auf bvg-ebe.de hochladen. Quasi vom WG-Küchentisch aus. Wer ein normales Monatskarten-Abo hat, dem ist damit leider nicht geholfen, der kommt auch nicht in der Genuss des „ermäßigten erhöhten Beförderungsentgelts“ von 7 statt 60 Euro. Bitter, aber die Weltrevolution lässt eben auf sich warten.
Wenn die BVG jetzt noch die Vorgabe aus der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung erfüllt und den Zwang zum Vordereinstieg in ihre Busse aufhebt, könnte man sie glatt für kundenfreundlich halten. Das Am-Fahrer-vorbei-Gedrängel, während hinten gähnende Leere herrscht, nervt seit vielen Jahren – und die Verkehrsbetriebe haben gerade ohnehin angekündigt, die Kontrollen in Bussen auszuweiten. Das Argument, der Fahrscheinvorzeigezwang (der die meisten Fahrer nicht die Bohne interessiert) garantiere hohe Einnahmen, wäre dann hinfällig.
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