Anonymer Sammler im Sammlermuseum: Elend, Ästhetik und Moral

Die Weserburg sendet zum Abschied von Direktor Friese ein Lebenszeichen mit großen Namen, eindrucksvollen Werken und einem Versteckspiel.

Terry Rodgers: The Palace of Automorphic Delights (2009) Foto: Museum Weserburg

BREMEN taz | Dieses „Lebenszeichen“ in der Weserburg ist ein klares und lautes, ein beinahe grelles. Für Subtiles und leise Zwischentöne ist da kaum Platz. Vielleicht am ehesten noch am Anfang, bei John Isaacs „The Architecture of Empathy“, das Michelangelos berühmte „Pietà“ in Originalgröße und weißem Marmor nachbildet – aber verhüllt. Nur noch die Konturen bleiben sichtbar, sodass das Werk zwar seines religiösen Kerns beraubt ist, gerade dadurch aber viel emotionaler wird, rückt es doch die Mutter in den Vordergrund, die um ihr totes Kind trauert. Aber natürlich funktioniert dieser Effekt so richtig nur dann, wenn man auch das Original schon mal gesehen hat.

Überhaupt wird viel zitiert in dieser Ausstellung „Proof of Life“, kunsthistorische Vorbilder, Arnolds Böcklins „Toteninsel“ beispielsweise, die bei Wolfe von Lenkiewicz mit einem Hakenkreuz und Schloss Neuschwanstein daherkommt. Oder das Bild des toten, zum Märtyrer verklären französischen Revolutionärs Marat von Jacques-Louis David. Der Brite Gavin Turk übersetzt es in eine lebensgroße Vollplastik, die seine eigenen Gesichtszüge trägt und Marat von allen Insignien eines Helden befreit. Auch wird er hier nicht ermordet; er schläft einfach friedlich ein. Natürlich erinnert das Bild an den toten CDU-Politiker Uwe Barschel, an den Jesus der „Pietà“ im Erdgeschoss oder auch an den sterbenden Jim Morrison von den Doors – lauter Bilder eben, die im kollektiven Gedächtnis gespeichert sind. Zugleich ist die ganze Inszenierung ein Sinnbild des Scheiterns der Ideale der Aufklärung.

Viele Werke in dieser Ausstellung kommen unglaublich offensiv und mächtig gewaltig daher, dazu gibt es lauter nackte Leiber, Drogen, Gewalt, Elend und Ekel. Weserburg-Direktor Peter Friese indes setzt darauf, dass die BesucherInnen nicht einfach nur der „sinnlichen Wucht erliegen“. Sondern er will dazu anregen, den Verstand und die eigene Kritikfähigkeit zu schärfen. „Die Werke lassen uns nicht in sprachloser Ehrfurcht erstarren, sondern lösen Verwunderung, Fragen und Zweifel aus, die wir unmittelbar auf die Gegenwart beziehen“, sagt Friese.

Dazu passt, dass „Proof of Life“ im Grunde eine fast schon klerikale Ausstellung ist, jedenfalls voll ist von christlichen Motiven. Da ist Damien Hirsts monumentales Kirchenfenster aus Tausenden bunten, fluoreszierenden Schmetterlingsflügeln. Gleich neben einer riesigen kalligrafierten Wortwand mit 10.000 Definitionen von Gott – und der detailversessenen In­stallation „The Tower of Babble“ der Gebrüder Chapman. Sie zeigt in einer Art Schlachten-Panoptikum rund um einen baufälligen Holzturm ein riesiges Massaker, angeführt von Nazis. Und den Mensch als Spielfigur einer Fast-Food-Kette.

Über 100 Gemälde, Skulpturen und Fotoarbeiten zeigt die Ausstellung. Sie lebt nicht zuletzt von den Bezügen, die sie untereinander schafft, durch die Kombination der Werke, ausgewählt aus über 1.000 Arbeiten. So bekommt auch mal abstrakt geometrische Konzeptkunst eine neue Dimension. Und die Werke zusammengenommen sind mehr als bloß die Summe ihrer einzelnen Teile.

Wer aber der Sammler ist, dem all das gehört – die Weserburg hält es geheim. Er bleibt anonym. Das führt nicht nur zu vielen Spekulationen in der Kunstszene. Es führt auch das Prinzip des Sammlermuseums ein Stück weit ad absurdum: Die Frage, wer wie und warum gesammelt hat, sie bleibt weitgehend offen. Auch die Frage, warum, wer auch immer es ist, er sich hinter seiner Sammlung versteckt, andererseits aber gern mit öffentlichem Geld museal adeln lässt. Und so richtig geforscht wird hier auch nicht.

„Es war sein Wunsch, ano­nym zu bleiben“, sagt Peter Friese dann. „Und den muss ich respektieren“. Oder eben ganz auf die Ausstellung verzichten. Aber das wollte Friese dann auch nicht, und nicht nur wegen all der großen Namen der zeitgenössischen Kunstwelt, die hier versammelt sind. „Er versteckt sich nicht“, sagt Friese über den Sammler, „er offenbart sich durch seine Bilder.“ Naja, ein Stück weit vielleicht. Friese möchte den Mann aber zum öffentlichen Gespräch in die Weserburg einladen – das würde der Ausstellung guttun.

Viele Werke in dieser Ausstellung kommen unglaublich offensiv und mächtig gewaltig daher

Für Peter Friese ist es wohl die letzte große Ausstellung, die er als Direktor eröffnet hat. Er ist kürzlich 65 geworden, im Sommer berät eine Findungskommission über seine Nachfolge. Und so ist „Proof of Life“ natürlich auch ein Lebenszeichen der Weserburg selbst, die in den letzten Jahren arg umstritten war und in der einen oder anderen Form dezimiert werden sollte. „Das Vermächtnis des Direktors“ nannte die Kreiszeitung die Ausstellung. Was er hinterlässt? Er habe das Museum „in ruhigeres Fahrwasser“ gebracht. Und entgegen aller Unkenrufe, sagt Friese zum Abschied, gebe es eine große Nachfrage von SammlerInnen, die in der Weserburg ausstellen wollten.

Bis 25. Februar 2018

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