Interview mit Gabriele del Grande: „Wir dürfen die anderen nicht vergessen“
Der italienische Journalist Gabriele del Grande wurde während einer Recherche in der Türkei festgenommen und befand sich 14 Tage in Haft.
Nach vierzehn Tagen Haft in der Türkei wurde Gabriele del Grande am vergangenen Sonntag freigelassen und aus dem Land ausgewiesen. Der italienischer Journalist, Blogger und Menschenrechtler verfolgt seit 2007 aktiv die Fluchtrouten nach Europa und schrieb darüber mehrere Bücher. Während der Recherche für ein neues Buch über den Syrischen Bürgerkrieg, wurde del Grande am 9. April in der türkischen Provinz Hatay verhaftet.
Wir sprachen mit dem 35-Jährigen über die Haftbedingungen im Abschiebezentrum, seinen Hungerstreik und zahlreichen inhaftierten Journalisten in der Türkei.
taz: Herr del Grande, was ist im türkischen Hatay passiert? Wieso wurden Sie am 9. April 2017 festgenommen?
Gabriele del Grande: Ich war in Reyhanli, einem Grenzort bei Syrien in der Provinz Hatay, um zu recherchieren. Ich plane, ein Buch zu schreiben, das sich um den syrischen Bürgerkrieg und die Rolle des „Islamischen Staats“ dreht. Seit September 2016 war ich bereits viermal dort, um syrische Quellen zu interviewen.
1990 in Istanbul geboren. Für die Zeitung Cumhuriyet arbeitete er als Reporter und Redakteur. Während eines Stipendienaufenthalts in der taz beschloss er, in Deutschland zu bleiben und das Projekt taz.gazete aufzubauen.
Ich saß beim Mittagessen in einem Restaurant mit meinem Interviewpartner, als plötzlich Polizisten in Zivil zu uns kamen. Vielleicht waren sie vom Geheimdienst. Sie fragten nach unseren Ausweisen und brachten uns dann in zwei verschiedenen Fahrzeugen zum Revier.
Wie wurden Sie behandelt?
Es gab keinerlei Gewalt oder Drohungen. Wir wurden verhört und ich habe gesagt, dass ich Journalist bin und nichts zu verbergen habe. Ich bot den Beamten auch an, mein Handy und meinen Laptop zu durchsuchen. Aber sie fragten mich immer nur, was ich „wirklich“ mache, und woher ich meinen Interviewpartner kenne. Ich erzählte von meinem Buchprojekt und dass ich dafür an keinen Auftraggeber gebunden bin. Außerdem wollte ich wissen, gegen welches Gesetz ich verstoßen hatte.
Was haben sie gesagt?
Darauf antworteten sie nicht. Stattdessen legten sie mir ein Vernehmungsprotokoll hin, das ich unterschreiben musste, ohne es zu verstehen. Danach gab ich meine Fingerabdrücke ab, wurde fotografiert und man brachte mich mit einem Fahrzeug zum Abschiebezentrum Hatay.
Was war das für ein Ort?
Dort waren 152 Menschen aus 14 Ländern untergebracht, Journalisten gab es keinen außer mir. Bei den meisten Insassen handelte es sich um Geflüchtete aus Syrien und dem Irak, auch Familien. Sie warteten darauf, zurückgeschickt zu werden. Manche von ihnen waren Dschihadisten, die in Syrien kämpften, das gaben sie auch offen zu.
Und wie kamen Sie ins Abschiebezentrum in der Provinz Muğla?
Drei Tage später wurde ich dorthin verlegt, am Abend des 12. April. Dort steckten sie mich in Isolationshaft. Es gab wohl eine Anordnung aus Ankara, die dies befahl. Ich durfte nicht mit meinem Anwalt sprechen, mit niemandem. Nach sechs Tagen wurde ich fast wahnsinnig vor Wut und fing an, gegen die Tür zu treten. Ich trat auch gegen das Bett und gegen die Gitter, es war wie eine Art Performance. Ich versuchte, so viel Schaden anzurichten wie möglich.
Begannen Sie deshalb den Hungerstreik? Aus Verzweiflung?
Ja. Die Leitung des Zentrums war besorgt und teilte mir mit, sie würde eine Ausnahme genehmigen. So durfte ich zwei Minuten mit meiner Frau telefonieren. Ich sagte ihr erst einmal, dass ich in Muğla war, weil sie immer noch dachte, ich befände mich in Hatay. Dann bat ich sie, draußen eine Kampagne loszutreten, und sagte, ich würde das Einzige tun, was mir in dieser Zelle möglich war. Und das war der Hungerstreik. Ich begann in dieser Nacht damit.
Wie reagierten die Verantwortlichen in der Anstalt auf den Streik?
Die Wärter waren nette Leute. Sie entschuldigten sich ständig und sagten, sie wüssten, dass ich ein guter Mensch sei, aber die Entscheidung über mich würde in Ankara getroffen. Danach wurde ich noch ein paar Mal verhört. Die Liste der Fragen kam offenbar auch aus Ankara. „Wieso haben Sie diese Person getroffen? Was wollen Sie von ihr? Was ist Ihr Ziel?“ Solche Fragen. Ich sagte, dass ich keine der Fragen beantworten würde, solange man mir nicht sagte, gegen welches Gesetz ich verstoßen hatte.
Haben Sie den Hungerstreik bis zu Ihrer Freilassung und Ausweisung am 23. April fortgeführt?
Ja. Am 21. April durfte ich endlich meinen Anwalt sehen. Er hatte auch keine Ahnung, wie die Vorwürfe gegen mich lauteten. Er sagte mir, dass er mit dem italienischen Außenminister in Kontakt stehe und dass man mich bald freilassen würde. Doch ich misstraute auch dieser Information. Ich wollte erst mit dem Hungerstreik aufhören, wenn ich mein Rückflugticket sah. Am 23. April flog ich dann schließlich nach Bologna.
Was ist mit Ihrem Interviewpartner passiert, der zur selben Zeit festgenommen wurde, wie Sie?
Ich weiß es leider nicht. Er wurde nicht nach Muğla gebracht, sondern blieb in Hatay. Ich hoffe, dass ich die nächsten Tage etwas von ihm höre und dass es ihm gut geht.
Nachdem Sie aus der Türkei ausgewiesen wurden, dürfen Sie wohl eine Weile nicht mehr einreisen. Wie wollen Sie mit ihrer Recherche weitermachen?
Ich muss erst einmal herausfinden, wie lange das Einreiseverbot gilt und dann möchte ich darum kämpfen, dass es aufgehoben wird. Natürlich will ich zurückkehren. Nach diesem Vorfall fühle ich mich der Türkei näher als je zuvor. Mein Anwalt hat gesagt, dass das, was mir widerfahren ist, vollkommen gesetzeswidrig war, und versucht nun an meine Akte zu kommen. Es war ein hässlicher Vorfall, meine Rechte wurden missachtet und ich werde mich weiterhin für Gerechtigkeit einsetzen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie verhaftet wurden, weil Sie zum „Islamischen Staat“ recherchieren?
Ich weiß es nicht. Alles, was ich dazu sagen würde, wäre Spekulation. Aber natürlich ist das möglich. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich wegen des „Islamischen Staats“ in dieses Gebiet begab. Ich habe nicht bemerkt, dass man mir folgte, vielleicht haben sie mich auch nur abgehört. Vielleicht aber war es nur Zufall. Wichtig ist mir jetzt vor allem, die Geschichten von dort zu erzählen, meine Recherche abzuschließen und das Buch zu veröffentlichen.
Sie hatten ja im Vergleich zu anderen inhaftierten Journalisten in der Türkei das Glück, so „früh“ frei zu kommen.
Klar, und ich sehe mich keinesfalls als Helden. Ich bin nur Teil einer Statistik. Ich war der Letzte, der verhaftet wurde, das ist keine große Geschichte. Die eigentlichen Helden sind die Kollegen, die immer noch in Haft sitzen. Mich konnten sie am Ende nur ausweisen. Doch nach dieser Erfahrung ist das Thema Pressefreiheit in der Türkei für mich noch dringlicher geworden. Ich grüße alle Journalisten, die heute im Gefängnis sind. Für uns draußen gibt es eine simple Aufgabe: Wir dürfen die anderen nicht vergessen.
Was war es für ein Gefühl nach Italien zurückzukehren?
Es ist natürlich schön, zu Hause zu sein. Wegen meiner Freunde, meiner Familie – und natürlich wegen dem Essen.
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