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Geteilt statt gekauft

TAG DER PRESSEFREIHEIT In der Türkei stehen Medien massiv unter Druck. Etwas besser war die Lage bislang bei Satiremagazinen – doch auch für sie wird es zunehmend schwerer

von Elisabeth Kimmerle

Die Titelseite der Satirezeitschrift Penguen blieb in der Woche nach dem Referendum in der Türkei weiß. Nur in der rechten Ecke stand eine Notiz: Von nun an sind auch Titelseiten ohne Karikatur gültig – eine Anspielung auf die 2,5 Millionen ungestempelten Wahlzettel, die beim Referendum von der Wahlbehörde für gültig erklärt wurden.

Das Titelblatt wurde in den sozialen Medien tausendfach geteilt. Da wussten die Fans noch nicht, dass es eine der letzten Ausgaben des beliebten Magazins sein würde. Wenige Tage später verkündeten die Zeichner*innen von Penguen, dass sie das Magazin nach vier weiteren Ausgaben schließen werden. Damit verstummt eine weitere kritische Stimme in der türkischen Presselandschaft.

Penguen ist eines der Satiremagazine, die in der Türkei an jedem Kiosk ausliegen und mit einer Auflage erscheinen, von der so manche Zeitung nur träumen kann. Viele von ihnen erscheinen wöchentlich. Wahlfälschung, Frauenmorde, Vetternwirtschaft – die Karikaturenmagazine offenbaren all das, was schiefläuft im Land. Und dessen Presselandschaft wegen der Repressionen gegen missliebige Journalisten am Tag der Pressefreiheit besonders im internationalen Fokus steht.

In Zeiten, in denen die kritische Berichterstattung oppositioneller Medien immer stärker eingeschränkt wird, bringen sie mit wenigen Strichen beißende Kritik auf den Punkt. „Das, was oppositionelle Zeitungen in langen Artikeln kritisieren, erzählen wir in einem Strip. Deshalb mag uns die Regierung nicht“, sagt Penguen-Karikaturist Serkan Altuniğne. Über 600.000 Menschen folgen ihm auf Twitter. Er erklärt sich den Erfolg der Satire in der Türkei so: „Lange Artikel erreichen nur die Leute, die mit dem Journalisten einer Meinung sind. Aber eine Karikatur erreicht alle, die liest jeder.“

Populär in Umbruchzeiten

In politischen Umbruchzeiten schossen die Verkaufszahlen der Satiremagazine in die Höhe, als hätten es die Menschen gerade dann bitter nötig zu lachen. Das 1972 gegründete Magazin Gırgır etwa erreichte nach dem Militärputsch 1980 eine Auflage von einer halben Million und war damit weltweit eine der am weitesten verbreiteten Satirezeitschriften. Mit dem Alltagsleben der Unter- und Mittelschichten, der vulgären Gossensprache und den volkstümlichen Helden in den Karikaturen konnte sich eine breite Masse der Leser*innen identifizieren.

Die Gezi-Proteste im Frühsommer 2013 waren getragen vom originellen Humor einer jungen Generation, die mit Satiremagazinen aufgewachsen war. Wasserwerfern und Tränengas stellten sie sich mit trotzigen Slogans entgegen. „Die Leute haben den unglaublichen Groll, der sich in ihnen aufgestaut hat, auf die Wände gespuckt“, erinnert sich Serkan Altuniğne. Im Sommer 2013 seien so mehr Satiremagazine verkauft worden als in den vergangenen zehn Jahren zuvor.

Im heutigen Ausnahmezustand ist von der humorvollen Aufbruchstimmung nicht mehr viel übrig. „Eigentlich lieben die Türken Humor“, sagt Serkan Altuniğne. „Aber über dem Land liegt eine solche Hoffnungslosigkeit, dass das Lachen erstickt wird.“

Auch für die Karikaturist*innen wird der Raum für Kritik unter dem repressiven Kurs der AKP-Regierung immer enger. Seit 180 Tagen sitzt Musa Kart, Karikaturist der oppositionellen Zeitung Cumhuriyet, im Hochsicherheitsgefängnis Silivri. Als er am31. Oktober 2016 abgeführt wurde, sagte er: „Im Moment fühle ich mich, als würde ich selbst in einer Karikatur leben. Was wir hier erleben, ist grotesk.“

Serkan Altuniğne erzählt, dass schon vor dem Ausnahmezustand Selbstzensur ein Problem gewesen sei. Doch seit dem Putschversuch seien sie noch vorsichtiger. „Wenn wir ein Cover planen, überlegen wir 58 Mal, ob uns etwas passieren kann, wenn wir das zeichnen, was wir kritisieren wollen.“ Die Regierung geht klug vor, findet Sabine Küper-Büsch. Die in Istanbul lebende Journalistin beschäftigt sich seit Jahren mit türkischen Karikaturen und sagt: „Sie lässt den Karikaturisten ihren Raum, zwingt sie aber in den abgehobenen Bereich. Damit wird ihnen der oppositionelle Stachel gezogen: Statt Missstände verständlich zu zeigen, sind die Karikaturen abstrakt und erreichen dadurch nur noch die Menschen, die sowieso gegen Erdoğan sind.“

Anders als in politischen Umbruchphasen der Vergangenheit sinken heute die Verkaufszahlen. Dem Pinguin mit den umgeschnallten Holzflügeln, dem Emblem des Satiremagazins Penguen, haben letztendlich die Finanzen das Genick gebrochen: Um unabhängig zu sein, haben die Zeichner*innen von Penguen auf Reklame verzichtet. Die Karikaturen werden zwar in den sozialen Medien geteilt, aber die Hefte bleiben an den Kiosken liegen. Die Menschen, so scheint es, haben genug damit zu tun, ihren Alltag aufrechtzuerhalten. Serkan Altuniğne war gerade mit seinen Kollegen auf der Buchmesse in Izmir – es war ein Abschied von den Leser*innen. Stundenlang hätten Menschen gewartet, um sich ihr Penguen-Magazin signieren zu lassen. „Unsere Leser*innen lieben unser Magazin sehr, aber sie verstehen uns auch: Auch sie sind gerade nicht in der Stimmung, Karikaturenmagazine zu kaufen“, sagt er.

„Finden immer einen Weg“

Die Karikaturistin Ramize Erer hat dennoch Hoffnung. Sie bringt zusammen mit anderen Zeichnerinnen das feministische Satiremagazin Bayan Yanı heraus und hat mit „kötü kız“ (Deutsch: „böses Mädchen“) einen aufmüpfigen weiblichen Charakter erfunden. Sie ist überzeugt: Satire ist immer noch die oppositionelle Stimme, die in Mainstreammedien fehlt. „Wenn der politische Druck steigt, wenden sich die Menschen der Satire zu. Das spiegelt sich nicht in den Verkaufszahlen wider, aber über die sozialen Medien finden die Karikaturen eine weite Verbreitung.“ Erer will sich nicht den Mund verbieten lassen: „Karikaturist*innen finden immer einen Weg, das auszudrücken, was sie sagen wollen.“

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