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„Es kann niemand verfolgt werden, den es nicht gibt“

Petition der Woche Hundert schwule Männer sollen in Tschetschenien in geheimen Gefängnissen gefoltert worden sein. Die Regierung sagt, das seien Lügen

Anlass der Petition: In Tschetschenien sollen schwule Männer gefoltert und ermordet worden sein. Ein Ermittlungsverfahren ist bisher nicht eingeleitet.

Das wollen die Initiatoren der Petition: Die Verurteilung der Täter.

Das wollen sie eigentlich: Ein Ende aller willkürlichen Verhaftungen und Misshandlungen.

Zu finden unter: http://bit.ly/2q9PEjB

Von Nancy Waldmann

In Tschetschenien nichts Neues, so scheint es: Ohne Rechtsgrundlage werden Menschen verhaftet. Verschleppt, gefoltert und ermordet. Es trifft Kritiker und Gegner des Präsidenten Ramsan Kadyrow, es trifft Menschen, die unter Extremismusverdacht stehen, deren Verwandte oder Klassenkameraden, Alkohol- und Drogenkonsumenten, die gegen den strengen muslimischen Sittenkodex verstoßen.

Die Opfer der jüngsten, besonders brutalen Verfolgungswelle sind homosexuelle Männer. Davon berichtet seit dem 1. April die Zeitung Novaya Gazeta. Mindestens hundert Personen wurden in sechs geheimen Gefängnissen festgehalten und brutal misshandelt. „Präventive Maßnahmen“, nennen das die örtlichen Behörden. Freigelassen wurden die Personen, nachdem sie sich vor den einbestellten Verwandten aller Gefangenen geoutet hatten, während die Verwandten gezwungen wurden, ihr Familienmitglied als „entehrt“ zu erklären. Drei Tote sind bekannt, darunter zwei Fernsehstars.

Doch etwas ist diesmal anders: die große Resonanz, die die Berichte von allen Seiten hervorriefen. In Tschetschenien, wo sonst zu solchen Vorwürfen geschwiegen wird, sah man sich zu perfiden Dementis gezwungen. „Es kann niemand verfolgt werden, den es in Tschetschenien nicht gibt“, sagte die Menschenrechtsbeauftragte Tschetscheniens. In Grosnys Zentralmoschee versammelte sich die geistliche und politische Elite, um die Journalisten der Novaya Gazeta zu Feinden des Landes zu erklären, die die religiösen Gefühle der Menschen verletzt hätten. Sogar bei einem Treffen zwischen Kadyrow und Putin kam das Thema auf den Tisch: „Lügen“ seien das, behauptete Kadyrow.

In Moskau standen derweil kritische Journalisten und Aktivisten solidarisch zusammen, organisierten Hilfe für die Verfolgten, sammelten Spenden – all das mit Unterstützung aus dem Ausland, wo die Nachrichten große Empörung hervorriefen. „Die Schwulen sind wohl ein besonders hervorstechendes Beispiel für die Lage in Tschetschenien. An die verfolgten Menschenrechtler und Journalisten hatten sich die Menschen gewöhnt“, sagt der Moskauer LGBT-Aktivist Igor Iasine. Ein Beispiel, das man im Westen besser versteht. In Berlin, Warschau, London und anderswo wurde vor den russischen Botschaften demonstriert. Westliche Aktivisten schrieben von „Gay Concentration Camps“. Geheime Gefängnisse gebe es in Tschetschenien jedoch schon lange und nicht nur LGTB-Personen werden dort festgehalten, sagt Iasine. Er startete eine Petition, in der er Ermittlungen im Zusammenhang mit der Schwulenjagd, die Bestrafung der Täter und ein Ende der außergerichtlichen Gewalt in der Teilrepublik fordert. 340.000 Menschen in Russland und der ganzen Welt haben schon unterzeichnet. „Wir setzen darauf, dass wir durch die große Resonanz auch auf die Situation anderer Gruppen hinweisen können. Das Problem ist nicht allein Homophobie. Es geht auch um Ehrenmorde, um Frauenrechte, die seit Jahren missachtet werden. Kadyrow konnte unter der Protektion des Kremls eine brutale Diktatur errichten“, sagt Iasine.

In den nächsten Tagen wollen Iasine und seine Mitstreiter die Unterschriften persönlich dem Generalstaatsanwalt Juri Tschaika übergeben, sowie der Ermittlungskommission Russlands, die Präsident Putin untersteht. Iasine ist nicht sehr zuversichtlich, dass es zu ernsthaften Ermittlungen kommt. „Wir tun alles uns Mögliche, um gesellschaftlichen Druck zu erzeugen“, sagt er. Denn den könne die Regierung nicht einfach an sich abperlen lassen. Die Ermittlungskommission Russlands, die auf den ersten Zeitungsbericht nicht reagiert hatte, gab inzwischen bekannt, die Informationen einer Voruntersuchung zu unterziehen, nachdem die Novaya Gazeta die Personalien von 26 Opferzeugen übergeben hatte – laut den Journalisten ein Novum.

Auf einem anderen Blatt steht, wie viel Moskauer Ermittler, selbst wenn sie wollten, ausrichten dürfen gegen die Rechtlosigkeit im Kadyrow-Staat. Denn Kadyrow, ursprünglich von Putin eingesetzt, ist inzwischen viel mächtiger geworden, als Putin vielleicht lieb ist. Gleichzeitig ist er der Garant für den Verbleib der Republik in der Russischen Föderation.

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