piwik no script img

Ein gallisches Dorf namens Schinkel Pavillon

Gallery WeekendDer Schinkel Pavillon, ein herausragender Ort der zeitgenössischen Kunst und des kritischen Diskurses in der historischen Mitte, bekommt immer noch keine reguläre Basisförderung. Zeit, das zu ändern

von Brigitte Werneburg

Leichenblass stehen die Häuser der „Kronprinzengärten“ da. Leider darf ihre öde und unerhebliche Luxusimmobilienarchitektur die einzigartige Lage neben Schinkels Friedrichwerderscher Kirche in Anspruch nehmen. Es wurde viel über die bautechnischen Schäden berichtet, die dieses Juwel neugotischer Baukunst durch die Aktivitäten der Baulöwen erlitten hat. Doch jetzt, wo tote Neubauten die Kirche umzingeln, traumatisiert der ästhetische Schaden. Die verfehlte Stadtplanungspolitik Berlins der vergangenen Jahrzehnte ist hier unübersehbar.

Inmitten der Trostlosigkeit dieses blitzblanken, weißen Kolonialstils in Berlins historischer Mitte, der sich offenbar für die Oberklasse des Wohnens empfiehlt, hat ein einzigartiges Baudenkmal überlebt: ein 1969 nach Plänen des Architekten Richard Paulick im Garten des Kronprinzenpalais erbautes dreistöckiges Oktagon mit zwei rundum verglasten Obergeschossen und einer prächtigen Eingangstür zum Souterrain, die aus der im Zweiten Weltkrieg zerbombten Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel stammt.

In diesem extravaganten Hybrid aus DDR-Moderne und Spätklassizismus feierte einst die Nomenklatura mit ihren Gästen. Jetzt fällt der modernistischen Folly die Rolle des kleinen gallischen Dorfes zu, das dem Imperium (der Investoren) trotzt. Denn hier residiert seit zehn Jahren Deutschlands hipster Kunstverein, der Schinkel Pavillon.

Besser sagt man: logiert, denn es ist keineswegs ausgemacht, dass die Plattform für zeitgenössische Skulptur, Installation und Medienkunst hier sicher fortbestehen kann. Obwohl der Ort für Nina Pohl, anders als für ihre Nachbarn, kein wohlfeiles Werbeargument ist. Die Künstlerin und Leiterin des Schinkel Pavillons sieht sich in der Verantwortung für ein nationales kulturelles Erbe. Mit ihrer Initiative erhält sie nicht nur eines der wenigen verbliebenen Architekturdenkmale der DDR in Berlin. Sie bezieht sich zudem dezidiert auf das Kronprinzenpalais als weltweit erstes Museum für zeitgenössische Kunst.

1919 hatte der Direktor der Nationalgalerie, Ludwig Justi, im Kronprinzenpalais mit zeitgenössischer Kunst der Berliner Sezession und der Brücke-Expressionisten die Galerie der Lebenden eröffnet. Sie diente Alfred Barr als Vorbild für New Yorks Museum of Modern Art. „Dieses wunderbar verrückte Gartenhaus muss der Kunst einfach erhalten bleiben“, sagt Pohl. „Und natürlich der Stadt. Wir sind die letzte Bastion, die noch Freiraum für die zeitgenössische Kunst in Berlins historischer Mitte bietet.“

Ihrem Anspruch, mit dem Schinkel Pavillon die Geschichte des Kronprinzenpalais zeitgenössisch fortzuschreiben, wird Pohls Ausstellungsprogramm jederzeit gerecht. Zurzeit füllen lebensgroße Zeichnungen und Skulpturen des Philosophen, Kafka-Übersetzers und Malers Pierre Klossowski (1905–2001) das erste Obergeschoss. Der Titel der Ausstellung „Roberte Ce Soir“ knüpft an das gleichnamige, 1953 von Klossowski verfasste illustrierte Buch an.

Gallery Weekend

Heute und morgen ist ­Gallery Weekend in Berlin, fast 50 Galerien laden zu Ausstellungen, Performances, Lesungen und Talks ein, heute Nachmittag gibt es um 14 Uhr etwa in der Galerie Eigen+Art ein Gespräch zum Thema „Art in the System. The System in Art“ (Auguststraße 26), um 17 Uhr eine Lesung im Rahmen der Ausstellung der libanesischen Künstlerin Rayyane Tabet in der Daad­galerie (­Oranienstraße 161). Im Schinkel Pavillon ist während des Gallery Weekends die Schau „Roberte Ce Soir“ von Pierre Klossowski (siehe Text) zu sehen, die danach noch bis zum 14. Mai läuft (Oberwallstraße 1, heute und morgen von 11 bis 19 Uhr).

Darin inszeniert der Ziehsohn Rainer Maria Rilkes ein komplexes, von mythologischen und allegorischen Verweisen durchzogenes erotisches Ränkespiel aus Begehren, Ekstase und Gewalt. Wie immer war die Vernissage rappelvoll, rund 2.000 Gäste kamen. „Der Schinkel Pavillon hat internationale Strahlkraft“, freut sich Nina Pohl, „wenn du interessante Künstler fragst, in New York oder sonst wo, sie wollen alle gerne im Schinkel Pavillon ausstellen.“

Kein Wunder, dass man sich an großartige Eröffnungen erinnert, wenn man die vergangenen zehn Jahre Ausstellungsgeschichte Revue passieren lässt mit Künstlern wie Mike Kelley, Isa Genzken, Camille Henrot oder Thomas Hirschhorn, der die Decke des Schinkel Pavillons einstürzen ließ. Wie viele andere Künstler und Künstlerinnen, die im Pavillon ausgestellt haben, nahm er direkt auf die drastischen städtebaulichen Veränderungen der Umgegend Bezug.

Bereits zwei Jahre zuvor, 2012, inszenierte Cyprien Gaillard eine Performance in der Baugrube für die Kronprinzengärten neben dem Pavillon, wo er mehrere Großbagger zu einer eigens komponierten Musik in einer Wolke aus pinkfarbenem Rauch tanzen ließ und so die Bauwut der Investoren kommentierte.

Dabei setzt Nina Pohl immer auf die Mischung aus bekannten Künstlern und jungen lokalen, aber auch internationalen Newcomern, die mit dem exzentrischen Raum umgehen und ihm etwas entgegensetzen können. Die Berliner Künstlergruppe Das Numen etwa ließ die Besucher vermeintlich im leeren Raum stehen, bis sie die an- und abschwellenden Bassfrequenzen wahrnahmen, die, über Bewegungsmelder im Stadtraum generiert, den Ort mit abstrakten Bildern vom Leben draußen füllten.

So leicht es Nina Pohl nun schon über zehn Jahre hinweg fällt, Künstler für das hochkarätige, international beachtete Ausstellungsprogramm des Schinkel Pavillons zu gewinnen, so schwierig sind noch immer die damit verbundenen finanziellen und organisatorischen Umstände. Da der Schinkel Pavillon keine reguläre Basisförderung erhält, hangeln sich Nina Pohl und ihr Team idealistischer junger Frauen − viele davon haben ihren Doktor in Kunstgeschichte − von Projektförderung zu Projektförderung. Ständig gilt es Anträge zu schreiben, um dann ein Juryverfahren durchzustehen.

Dass in den letzten zehn Jahren durch Förderungen der ­öffentlichen Hand – wie etwa des Hauptstadtkulturfonds – immer wieder ein experimentelles und anspruchsvolles Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm möglich war, ist großartig. Die laufenden Kosten für Miete, Mitarbeiter, Versicherungen und Produktion von Kunst et cetera sind damit aber nicht gedeckt.

Mithilfe einer groß angelegten Benefizauktion hat der Kunstverein sich jüngst sogar aktiv für die Renovierung der historischen Schinkelklause eingesetzt, die sich im Erdgeschoss befindet: Um den Souterrain als zusätzliche Ausstellungsfläche nutzen zu können, musste sie das Untergeschoss erst einmal sanieren und in den Brandschutz investieren.

Jetzt, wo der Bund, also Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Berlin noch ein paar Millionen draufgelegt hat in der Hauptstadtförderung, sollte es doch möglich sein, eine reguläre Basisförderung für den Schinkel Pavillon auf die Beine zu stellen. Nichts wäre lohnender als der Berliner Kunstszene und Öffentlichkeit diesen Missing Link zwischen großen Institutionen und Offspaces zu erhalten. Denn als ein besonderer Ort der Kunst und des kritischen Diskurses steht er der mit Hunderten Millionen von Euro geförderten und herangezüchteten kulturellen Mitte mit Oper, Schloss und Humboldtforum sehr wohl zu Gesicht. Sich davon zu überzeugen, bietet das Gallery Weekend jetzt für die Berliner Kulturpolitiker und -politikerinnen eine ideale Gelegenheit.

Pierre Klossowski verbrachte übrigens mit seinem jüngeren Bruder Balthasar, der als der ­Maler Balthus berühmt ist, seine Jugend in Berlin. Keine Berliner Kunstinstitution hat ihm bisher eine Einzelausstellung gewidmet. Dazu braucht es eben Nina Pohl und den Schinkel Pavillon.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen