piwik no script img

Halbqualifizierte Leichenschau

Todesursache Bremen will als erstes Bundesland eine Leichenschau bei allen Toten durchführen. Der Gesetzentwurf ist jedoch nur halbgar

Viele unnatürliche Todesfälle bleiben unaufgeklärt. Weil hierzulande häufig nicht-spezialisierte Ärzte die Todesursache feststellen, kommt es relativ oft zu Fehleinschätzungen. 2011 prüfte etwa eine Rechtsmedizinerin die Befunde der obligatorischen zweiten Leichenschau vor der Einäscherung. Ihr Ergebnis: In 308 von 387 Fällen erwies sich die ärztlich festgestellte Todesursache oder Todesart im Krematorium als falsch. Auch eine Studie mehrerer rechtsmedizinischer Institute war bereits 1997 zu dem Ergebnis gekommen, dass bundesweit jährlich 11.000 nicht-natürliche Todesfälle und 1.200 Tötungsdelikte unerkannt blieben.

Leichenwesen ist Ländersache. Und Bremen ist das erste Bundesland, dass nun einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der bei jeder Leiche eine qualifizierte Leichenschau, also eine Untersuchung durch einen spezialisierten Rechtsmediziner, vorsieht. Mitte März hat die Gesundheitsdeputation den Entwurf beschlossen. Wenn er durch die Bürgerschaft kommt, soll das neue Leichengesetz noch ab August 2017 in Kraft treten.

Der Entwurf stößt jedoch auf Kritik. Denn die qualifizierte Leichenschau durch einen Experten soll nicht standardmäßig am Fundort der Leiche oder dem Todesort stattfinden, sondern in der Rechtsmedizin: „Sobald ein Arzt einen natürlichen Tod festgestellt hat, soll die Leiche weggebracht werden“, sagt Jochen Kopelke von der Gewerkschaft der Polizei, „jeder mit kriminalistischer Ausbildung bekommt da sofort panische Angst.“

Laut Kopelke lässt sich ein unnatürlicher Tod am besten am Leichenfundort feststellen. Eine wirklich qualifizierte Leichenschau erforderten daher auch bei vermeintlich natürlichen Todesursachen „eine Untersuchung durch Experten vor Ort“. gjo

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen