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„Ich bin auch nur ein Mensch“

BilanzAm Mittwoch zieht der Regierende Bürgermeister sein Fazit nach hundert Tagen Rot-Rot-Grün. Die taz weiß schon jetzt: Es wird eine fulminante Rede mit Tiefschlägen gegen den „Tagesspiegel“, die Zukunft der Unisextoiletten und die Wahrheit über den BER

„Be happy, be Berlin, be Rot-Rot-Grün!“ Foto: Britta Pedersen/dpa

Liebe Berlinerinnen und Berliner, liebe Gäste unserer schönen Stadt, wissen Sie eigentlich, wo Frank Henkel ist? Wissen Sie nicht? Nicht schlimm, ich weiß es auch nicht. Wahrscheinlich weiß er es nicht einmal selbst. Ich aber stehe leibhaftig vor Ihnen. Als Beweis dafür, dass Rot-Schwarz tot ist. Rot-Rot-Grün aber lebt.

Als wir vor genau hundert Tagen angetreten sind, in Berlin einen Politikwechsel zu starten, hat man keinen Pfifferling auf uns gegeben. Der Tagesspiegel, dieses Zentralorgan patriotischer Berliner gegen den Untergang des Abendlandes, hat um sich geschossen, bis die Druckerschwärze alle war, und nun? Loben sie unsere Mietenpolitik. Wir überzeugen also selbst unsere Gegner. Mehr Lob kann man sich nicht wünschen zur Zwischenbilanz.

Ich will da gar nicht drumrumreden. Es gab da bittere Momente. Als ich am Abend des18. September auf die Bühne der Columbiahalle gestiegen bin, war das gewiss kein leichter Gang, bei einem Ergebnis von 21,6 Prozent. Die SPD, meine SPD, war gerade einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Aber wir waren eben auch stärkste Partei geworden. Deshalb habe ich gesagt: „Das ist ein klares Ergebnis, aber auch Ansporn, besser zu werden.“

Liebe Berlinerinnen und Berliner, seit hundert Tagen ist Rot-Rot-Grün nun im Amt, und wir alle spüren es: Es ist besser geworden. Berlin, viele Jahre im Besitz der Roten Laterne, spürt keinen Gegenwind mehr, sondern Aufwind. Wir haben neue Hochschulverträge unterzeichnet und den Universitäten und ihren Mitarbeitern neue Perspektiven eröffnen. Der Tourismus bleibt eine Erfolgsgeschichte, auch wenn die Flieger nach wie vor in Tegel landen. Und weil jetzt alle einen Witz erwarten, weil eine sprechende Büroklammer wie ich ja auch mal Charmebolzen sein muss, bitte, hier ist er: Dass Tegel bis heute offen ist, ist nicht der Erfolg der FDP, sondern geht auf meine Kappe. Deshalb bin ich vom Aufsichtsratschefposten des BER zurückgetreten. Mal gucken, ob es jetzt schneller geht. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende verdient immerhin mehr als das Doppelte wie ich.

Sie sehen, ich lass mir die Laune auch vom BER nicht verderben. Denn heute ist ein Grund zum Feiern. Die Rote Laterne ist heute kein Symbol mehr für ein Schlusslicht. Sie leuchtet zum Zeichen des Aufbruchs, so wie auch das Rote Rathaus im der Berliner Abendsonne leuchtet.

Wie? Ja, Sie haben recht. Es leuchtet auch noch grün, das Rote Rathaus, vielleicht können wir es nach den nächsten hundert Tagen ja rot-rot-grün anstreichen.

Wir haben, meine Damen und Herren Geschichte geschrieben. Ob aus dieser Berliner Landesgeschichte bald auch Bundesgeschichte werden wird, haben Sie, liebe Wählerinnen und Wähler, selbst in der Hand. Aber auch unsere Berliner Geschichte kann sich sehen lassen.

In den 100 Tagen, in denen SPD, Linke und Grüne regieren, ist, davon bin ich überzeugt, viel vorangekommen. Nicht nur bei uns, sondern auch, da gibt es gar nichts dran rumzudeuteln, auch bei unseren Koalitionspartnern. Die Grünen treiben die neue Verkehrspolitik voran, wenn auch vorerst nur mit Eckpunkten und nicht mit Gesetzesvorlagen. Und die Linke setzt fort, was ich als Stadtentwicklungssenator mit dem „Bündnis für soziale Mieten“ mit den Wohnungsbaugesellschaften begonnen habe. Nicht Koch und Kellner, hat man von uns vor den Wahlen gefordert, sondern eine Koalition auf Augenhöhe.

Nun, die haben wir jetzt, meine Damen und Herren. Deshalb ist es auch, gelinde gesagt, unangebracht, immerzu die Frage zu stellen, wo denn die SPD bleibt. Warum Linke und Grüne ihre Senatorenämter mit Aktivposten besetzt haben, die SPD dagegen plötzlich als graue Maus dasteht. Warum ich als Regierender Bürgermeister angeblich abgetaucht bin und mich im Roten Rathaus hinter meinen Mitarbeitern verschanze, anstatt das Zepter zu schwingen. Ja, kann man es denn niemandem rechtmachen? Erst Augenhöhe fordern und dann Richtlinienkompetenz.

Was habe ich vor der Wahl gesagt? Ja, das habe ich im Interview mit der taz gesagt: „Wir sind konkurrierende Parteien. Und ja: Ich möchte ein möglichst starkes Ergebnis für die SPD. Ich möchte Regierender Bürgermeister bleiben, und eine Koalition wird über den Regierungschef wahrgenommen.“ Was wollen Sie wissen? Wann ich das letzte Mal als Regierungschef wahrgenommen wurde?

Und dann soll ich auch kein glückliches Händchen in Personalfragen gehabt haben? Meine Senatssprecherin ein „Bettvorleger“, wie die taz, einmal die Speerspitze des Feminismus, despektierlich schreibt. Die haben das letzte Mal ein Interview mit mir bekommen. Meine Europastaatssekretärin als Agentin des politischen Islam im Rathaus? Einen Chef der Senatskanzlei, der wegen der McKinsey-Affäre angeschlagen ist? Und warum hat er nicht die Kolat und die Scheeres in die Wüste geschickt? Weil der Parteienproporz wichtiger ist als ein Senatorenamt? Ja gucken Sie doch mal bei den Grünen und Linken? Warum ist denn der Herr Kirchner nicht Verkehrssenator geworden? Weil der linke Flügel unbedingt den Behrendt und seine Unisextoiletten wollte. Und wer hat denn den Holm geholt, so als lebten wir hier nicht in einer Stadt der Täter und Opfer?

So, das war’s. Sorry, dass ich mich nicht ans Manuskript gehalten habe. Wie, das Manuskript war von Raed? Dieser Schlingel

Nein, ich sag es Ihnen nicht, der Koalitionsfriede ist ein hohes Gut, und das mit der Augenhöhe hab ich nicht vergessen. Aber manches andere eben auch nicht. Ich bin ja schließlich keiner, an dem alles abperlt. Ich bin auch nur ein Mensch. Ein Müllermensch eben. Ein Tempelhofer. Einer ohne Abitur. Einer, der sich strecken und recken musste. Ja, da ist es plötzlich ganz still. Gut so. Politik muss sich nicht nackig machen, liebe Berlinerinnen und Berliner, aber ehrlich, das muss sie sich schon mal machen.

(Guckt auf die Uhr). So, das war’s. Sorry, dass ich mich nicht ans Manuskript gehalten habe. Wie, das Manuskript war von Raed? Dieser Schlingel. Wollte mir wieder einen unterjubeln. Pech gehabt. Verstehen Sie nicht, meine Damen und Herren? Müssen Sie auch nicht. Was in der SPD passiert, verstehen ja nicht mal wir Sozialdemokraten. Deshalb fühl ich mich so wohl bei unserem Dreier. Hätten Sie die Wahl zwischen Klaus Lederer und Raed Saleh? Eben!

In diesem Sinne. Be happy, be Berlin, be Rot-Rot-Grün!

(Protokolliert von unserem Informanten Uwe Rada)

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