: „Die Szene kann sich sehen lassen“
THEATER Zum dritten Mal präsentiert das Festival „Hauptsache Frei“ die freie Szene. Die Festival-Leiterinnen Anne Schneider und Sarah Theilacker über Unterfinanzierung, Öffentlichkeitsarbeit und künstlerische Freiheit
Interview Katrin Ullmann
taz: Frau Theilacker, Frau Schneider, die freie Performanceszene ist in Hamburg geradezu neurotisch unterfinanziert. Wie geht es dem Patienten heute?
Sarah Theilacker: Er ist phasenweise müde, rappelt sich aber immer wieder auf. Er lässt sich nicht unterkriegen und ist in seinem künstlerischen Schaffen ungebremst leidenschaftlich. Gleichzeitig fehlt ihm manchmal, durch die jahrelange Krankheit bedingt, die Kraft, wieder und wieder dieselben Forderungen zu formulieren und zu begründen. Insofern würde ich der Kulturbehörde – als behandelndes Ärzteteam – empfehlen, zur Linderung der Schmerzen mal einen ordentlichen Schritt auf den Patienten zuzumachen.
Anne Schneider: Was die finanzielle Seite angeht, hat sich leider wenig verändert. Selbst eine vom Dachverband der freien darstellenden Künste Hamburgs angemahnte notwendige Soforthilfe wurde nicht in voller Höhe bereitgestellt. Was die künstlerische Seite angeht: Ich denke, das Festival zeigt die Vitalität und Virtuosität der Szene. Jetzt muss nur noch das eine dem anderen angepasst werden.
Ihr Festival „Hauptsache frei“ geht in die dritte Runde. Was haben Sie über die freie Szene (dazu-)gelernt?
A. S.: Es war eine tolle Möglichkeit, intensiv in das Schaffen der vielen hier arbeitenden Künstlerinnen und Künstler einzutauchen. Und ich habe auch nach drei Jahren überhaupt nicht das Gefühl, alles hier zu kennen. Die Szene kann sich wirklich sehen lassen und wir hoffen, dass immer mehr Menschen, auch in der Politik, das zu würdigen wissen.
S. T.: Man lernt mit jedem Jahr etwas dazu, schließt neue Banden, erweitert das Netzwerk. Die Arbeit mit und für die freie Szene macht wahnsinnigen Spaß und es macht auch Freude zu merken, wie das Festival immer mehr im Bewusstsein der Öffentlichkeit ankommt.
1980 in Göttingen geboren, ist Theaterregisseurin und künstlerische Leiterin von „Hauptsache Frei“.
Was kommt denn besonders gut an?
S. T.: Grundsätzlich würde ich sagen, dass bei „Hauptsache Frei“ alle Veranstaltungen ihr Publikum finden. Die Produktionen sind schon seit dem ersten Jahr durchgehend gut besucht. Im Rahmenprogramm ist es schon mal durchwachsen. Da mag ein Workshop zum Thema Konzeption Jahr für Jahr ausgebucht sein, während die juristischen Einzelberatungen, die wir zweimal im Angebot hatten, nicht so stark nachgefragt wurden und deshalb dieses Jahr rausgeflogen sind.
A. S.: Tatsächlich hat mir letztens jemand aus Dresden gesagt, dass er hier während unseres Festivals Produktionen gesehen hat, die ihn wie kaum andere nachhaltig beeindruckt haben.
Ihr Logo ist ein Flügel. Ein ironischer Verweis, dass man als freischaffende TheatermacherIn gar nicht frei sein kann, von Krisen, Finanzproblemen und anderen Sorgen?
A. S.: Frei von Sorgen? Das wäre mal was! Für mich besteht eine große Freiheit darin, dass ich meine Strukturen und meine Arbeitsweise selbst gestalten kann. Dies ermöglicht tatsächlich künstlerische Freiheit. Aber damit sich diese wirklich entfalten kann, bedarf es entsprechender Rahmenbedingungen und da knirscht das System leider noch allzu oft. Wir kämpfen gerade um Honoraruntergrenzen. Untergrenzen wohlgemerkt! Da liegt also noch ein Weg vor uns. Aber das wollten wir mit dem Festival auch, Freiräume schaffen und andererseits kulturpolitisch aktiv sein, damit sich weitere Freiräume auftun können.
Funktioniert das Festival deshalb vor allem als Treffpunkt für Austausch und Vernetzung?
1979 in Thalwil/Schweiz geboren, ist Kulturmanagerin und leitet das Festival organisatorisch.
A. S.: Unbedingt! Unser Konzept ist in dieser Hinsicht ziemlich gut aufgegangen. Wir haben die überregionale Aufmerksamkeit, und auch für die Produktionen sind teilweise sehr gute und nützliche Kontakte entstanden.
Zum ersten Mal ist dieses Jahr die Kinder- und Jugendtheaterszene vertreten – warum? Und warum nicht schon früher?
A. S.: Anfangs gab es Bedenken, dass sich das zu sehr mit den bestehenden Kinder- und Jugendfestivals doppelt. Aber es hat sich gezeigt, dass wir ein völlig anderes Zielpublikum ansprechen. Also haben wir diese Facette der freien Szene mit Freude mit aufgenommen.
„Hauptsache Frei. Festival der darstellenden Künste Hamburgs“: Mi, 19. 4., bis Sa, 22. 4. im K3 auf Kampnagel, im Hamburger Sprechwerk, Monsun Theater und Lichthof-Theater
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