Neuer Roman von China Miéville: Ach, wäre es doch nur die Angst
China Miévilles Roman „Dieser Volkszähler“ ist voller Kälte, Furcht und Vernichtungsdrohungen. Er ist eine Dystopie, die den Februar verewigt.
Ein Buch verewigt das Februargefühl. Das Februargefühl ist: Der Winter hört nie mehr auf. Kalt sind die Tage. Und grau. Draußen ist feindlich. Und doch ist da mehr Licht als noch im Dezember und Januar. Und in manchen Momenten glaubt man Vorboten des Frühlings zu vernehmen. „Durchhalten“, denkt man, „einfach nur durchhalten“.
So ergeht es auch einem Kind, das in China Miévilles Roman „Dieser Volkszähler“ durchhalten muss, damit sich etwas ändert. Was es sein wird, bleibt so unklar und unwichtig wie sein Name oder das Land, in dem es lebt.
Miéville ist Sozialist, Brite, Fantastik-, SciFi-, Steampunk-, Comicautor, Erfinder abseitiger Welten, die es allesamt geben sollte, damit die reale Welt mal so interessant würde, wie es die Apologeten des Kapitalismus versprechen. Miévilles neues Buch düster zu nennen hieße, die Düsternis der Lächerlichkeit preiszugeben.
„Dieser Volkszähler“ ist kalt, sehr kalt. Angst durchzieht die Gesellschaft; Angst auf dem Berg, Angst im Dorf, zu dem der Berg gehört, Angst vor Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Angst vor der Sprache, Angst vor und in allem. Und in der Nähe klafft ein Abgrund, der noch weit mehr fasst als Angst.
Über eine Schrotflinte heißt es: „Sie verstreut Möglichkeiten.“ Verstreute Möglichkeiten bieten sich dem Protagonisten, um dem Pandämonium zu entkommen. Auch sie werden knapp und aufs Wesentliche reduziert ausfallen. Doch immerhin, es gibt sie. Das ist nicht wenig in einem Roman, dessen Motto „Zählung des ganzen Landes. Klassifizierung in Gruppen“ heißt, in dem es keinen Unterschied macht, ob jemand verschwindet oder tot ist.
China Miéville: „Dieser Volkszähler“. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Liebeskind, München 2017, 176 S., 18 Euro.
Das grau-kalt-feindliche Februargefühl ist beim Lesen von der ersten Seite an da, und es wird immer intensiver. Mehr Licht und Frühlingsvorboten kommen – und gehen auch wieder. Wer hier aber sagt: „Durchhalten, einfach nur durchhalten“, der verpasst große Kunst. Man sollte die Kälte in „Dieser Volkszähler“ besser von der ersten bis zur letzten Seite genießen.
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