piwik no script img

Art Basel Hongkong Die Shortlist der BMW Art Journey 2017 steht fest. Max Hooper Schneider, Sieger der letzten Runde, im PorträtDie Bakterie als Avantgardist

Max Hooper Schneider besucht das einzige Süßwasserriff im Baikalsee in Russland und zwei Korallen-Pilgerstätten

Nothing beats being there“, erklärt Marc Spiegler, Chef der Art Basel, warum die Messe gemeinsam mit ihrem Hauptsponsor die BMW Art Journey ins Leben gerufen hat. Also keinen der üblichen mit einer mehr oder weniger hohen Geldsumme verbundenen Kunstpreise, sondern ein Reisestipendium. Ausgehend von der traditionsreichen Idee vom Wissenserwerb durch praktische und lebensnahe Erfahrungen anstelle theoretischer Bücherweisheit. Und damit ein höchst aktueller Gegenentwurf zur geschäftigen globalen Genügsamkeit der virtuellen Welt.

Die BMW Art Journey steht jungen Künstlern und Künstlerinnen offen, die von ihren Galerien in dem Discovery genannten Bereich der Art Basel Hongkong – auf der Art Basel Miami Positions genannt – vorgestellt werden. Eine Jury wählt unter ihnen zunächst drei KünstlerInnen für die Shortlist aus, die dann ihre Reisepläne einreichen können. Unter ihnen ermittelt eine zweite Jury den Gewinner.

Am Mittwoch wurde nun in Hongkong die Shortlist der Art Basel Hongkong vorgestellt. ­Astha Butail, Julian Charrière und Lin Ke sind nominiert. Letztens gewann den Reisepreis Max Hooper Schneider. Der 35-Jährige aus Los Angeles kann als wissenschaftlicher, forschender Künstler bezeichnet werden. Nach einem Studium der Biologie und der Stadtplanung an der New York University machte er in Harvard seinen Abschluss als Landschaftsarchitekt. „In der Landschaftsarchitektur kommt alles zusammen“, sagt er im Gespräch. „Landschaftsarchitektur gab mir die Möglichkeit, mit lebenden Systemen zu arbeiten und sie in meine bildhauerische und architektonisch-räumliche Arbeit einzubeziehen.“

Reisen ist für Max Hooper Schneider schon immer wesentliche Grundlage seiner Arbeit und seines Lebens. Vor etwas über zehn Jahren untersuchte er vor Ort in Bosnien-Herzegowina die Situation des urban postconflict environment. Dabei interessierte ihn vor allem die Frage, wie die Menschen ihre zerstörte Umwelt auf lokaler Ebene wiederherstellen. „Ob Großmütter die Löcher in der Straße reparieren und der Rest der Familie die Hauswände neu streicht, in bunten Farben, das zeigt, dass sich die Gegend wieder regeneriert. Mich fasziniert, was ich die Ästhetik der Nachfolge nenne. Was passiert danach? Das ist für mich die große Frage.“

Die Chance auf das Reisestipendium ließ ihn seine künstlerischen Ziele noch einmal genau überdenken: „Schon das hat mich vorangebracht. Ein Geldpreis dagegen wäre für meine Schulden draufgegangen.“ Stattdessen steht im Sommer seine Reise mit dem Titel „Planetary Vitrine: The Reef as Event“ an. Neben berühmten pazifischen Korallenriffen wie etwa dem Bikini-Atoll besucht Max Hooper Schneider das einzige Süßwasserriff im Baikalsee in Russland und zwei Pilgerstätten, die im Korallendiskurs von Wissenschaft und Kunst stehen, nämlich die Kokosinseln, über die Charles Darwin 1842 seine Abhandlung „Über den Bau und die Verbreitung der Corallen-Riffe“ schrieb, und die Bahamas, zu deren Korallenriffen der Surrealist André Breton anhand von Fotografien eine imaginäre Reise unternahm.

60 Prozent der Korallenriffe, Lebensraum einer ungeheuren, für die Naturkreisläufe auf unserem Planeten entscheidenden Biodiversität, werden 2030 unwiederbringlich verloren sein. Auch Korallenriffe sind eine Art Kriegsgebiet. Trotzdem interessiert den Künstler wieder mehr die Frage der Erholung: „Ich versuche dieser besonders für die Kunst und die Literatur so unwiderstehlichen Idee der Dystopie zu entkommen. Die Natur lässt das gleichgültig, wir verschwinden und werden vielleicht durch etwas ganz Wunderbares ersetzt.“

Aus seiner Sicht haben wir jedenfalls eine Menge interessanter Mitspieler. Sie sollen in seinen Vitrinen, die er bei den Riffs versenkt und nach zwei Jahren wieder hochholt, schon mal zu Wort kommen. „Ich glaube nicht an die Idee vom autonomen Kunstwerk. Ich glaube an die Koautorenschaft der Umwelt. Bei mir darf jeder Schleim oder jede Bakterie die Rolle der Avantgarde einnehmen.“

Brigitte Werneburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen