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Deutsch bei La Rösinger

Integration Die Musikerin und Autorin Christiane Rösinger stellte am Samstag im Prater ihr Buch „Zukunft machen wir später“ vor, in dem sie launig über ihre Erfahrungen als Sprachlehrerin für Geflüchtete berichtet

von Jenni Zylka

„Man kann“, so schreibt Christiane Rösinger in ihrem Buch „Zukunft machen wir später“, „auch mit Menschen ohne Wohnung über Häuser sprechen. Man könnte im Futur I sprechen, man könnte sagen: Eines Tages, wenn ihr dann eine Wohnung haben werdet, für euch allein, dann werdet ihr Möbel kaufen. Dann werdet ihr diese Worte brauchen: das Regal, das Bett. Aber Zukunft hatten wir noch nicht.“

Die grammatikalische Zukunft ist für die Geflüchteten, die Rösinger seit 2015 in einem Anfänger-Deutschkurs in Kreuzberg unterrichtet, nämlich ähnlich nebulös wie die persönliche. Davon handelt ihr soeben erschienener Erlebnisbericht, aus dem die Musikerin, Conférencieuse und Autorin am Samstag im Prater (fast, aber nicht ganz ohne zu singen) vorlas: Die Auswahl des Lieds „Heut kommt der Hans zu mir“ mit seinem zungenbrecherischen Nonsens-Refrain „Ob er aber über Oberammergau / oder aber über Unterammergau / oder aber überhaupt nicht kommt / ist nicht gewiss“ kam ihr anfangs seltsam vor, schreibt sie, die arabischen Kursteilnehmer hätten diese Zeilen jedoch besonders gut singen können.

Die Thematik ihrer Geschichte ähnelt dem hübschen Schweizer Dokumentarfilm „Neuland“ von 2013, für den Anna Thommsen zwei Jahre lang Geflüchtete und Lehrer bei einem Deutschkurs in der Schweiz begleitete. Und genau wie bei diesem Film scheinen die Erkenntnisse, die Rösinger dem Publikum in gewohnt gutmütiger Lakonie, mit entspanntem Sprachwitz und frei von literarischer Eitelkeit verklickert, auf den ersten Blick selbstverständlich zu sein: dass man fremde Menschen kennen- und lieben lernt, wenn man mit ihnen arbeitet. Dass man bestimmte Themen im Kurs besser weglässt, weil auch Menschen mit Flucht- oder Kriegstraumata ab und an mal gern heiter sein wollen, sich, wie sie schreibt, nicht als „Flüchtende“, sondern als „Lernende“ identifizieren möchten. Und dass die Helfenden als „Gutmenschen“ herabwürdigt werden, dass Altruismus und Berechnung für die KritikerInnen der Helfenden gar ein altes Paar sind – „Tue Gutes und rede darüber“. „Aber was ist daran schlimm, sich gut zu fühlen, indem man etwas tut, was auch für andere gut ist?“, schreibt Rösinger zu Recht.

Zudem all diese Gedanken eben doch nicht ganz so selbstverständlich sind. Das Kichern des Prater-Publikums klingt jedenfalls ebenso begeistert wie erstaunt, als es etwa um einen 18-jährigen Syrer geht, der voller Überzeugung seine Pläne preisgab, später, wenn er erst mal richtig Deutsch kann, zum BND zu gehen: Ja, formuliert Rösinger selbstironisch, „das haben wir linken Kreuzbergerinnen, a priori kritisch gegen Nachrichtendienste und den Staat eingestellt, jetzt davon“. Geflüchtete, selbst wenn sie in Kreuzberg Deutsch bei Rösinger lernen, sind auch keine Garanten für die Destabilisierung des Systems, um es durch ein besseres, menschenfreundlicheres zu ersetzen.

„Ich kann diese ganzen traurigen Fluchtgeschichten nicht mehr lesen“, gibt sie zu

Rösingers Buch braucht genau jene Launigkeit, die der Autorin in sämtlichen Ausdrucksformen eigen ist, um tatsächlich anzustoßen: „Ich kann diese ganzen traurigen Fluchtgeschichten nicht mehr lesen“, gibt Rösinger zu. Schade ist am Samstag nur, dass kaum Geflüchtete im Publikum sitzen, dass man beim Zuhören und Nachdenken mal wieder unter sich bleibt, mal wieder nur über eine Gruppe von Menschen anstatt mit ihnen redet. Einer ihrer Lieblingsschüler war immerhin da, erzählt Rösinger später, ein Afghane, der jetzt eine Lehre als Buchhalter mache. Rösingers pragmatische Anfangshaltung, den Deutschunterricht für ihren Ausstieg aus dem Kulturprekariat zu nutzen, ist längst in Begeisterung umgeschlagen.

Die Heiterkeit, die sie anfangs noch aus Höflichkeit gegenüber den KursteilnehmerInnen vortäuschte, hat sich manifestiert. Es sei geradezu ein „positiver Teufelskreis der Freude“, sagt Rösinger – aus ihrem Munde, deren zweiter Vorname einst „Melancholie“ lautete, eine überzeugende Äußerung. Win-win für alle. Dass ein paar Geflüchtete wahrscheinlich gerade merkwürdige Volkslieder vor sich hinsummen, tut dem bestimmt keinen Abbruch.

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