Produktiv im Protest

Filmschule Weiterhin geprägt vom studentenbewegten Kampfgeist der Anfangsjahre in den Endsechzigern: Was sich sehen lassen kann – die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin feiert mit Filmreihe 50-Jähriges

Immer kampfbereit: Protestierende Studierende der dffb 2015 bei den Streitigkeiten um den neuen Direktor der Akademie Foto: Florian Boillot

von Carolin Weidner

Zum fünfzigsten Geburtstag hat die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin dffb – in Kooperation mit der Deutschen Kinemathek – eine Website erhalten, die Onlinearchiv ist und deren Erkundung lohnt: Es werden Fotos, Produktionsunterlagen, Korres­pondenzen, Filmausschnitte und teils sogar ganze Filme aus den Jahren 1966 bis 2015 bereitgestellt, wobei besonders die Durchsicht einiger interner Papiere Freude bereitet.

Da sind zum Beispiel Schmierzettel zu finden, die den gezeichneten Grundriss einer Filmwohnung zeigen (bewegliche Wände unabdinglich), oder penible Kostenaufstellungen, Anträge, Quittungen und schreibmaschinengetippte Exposés. Thementexte stehen zum Lesen bereit („Feminismen an der dffb 1966–1985“ von Madeleine Bernstorff, „Wie Filme sehen – Harun Farocki als Lehrer an der dffb“ von Volker Pantenburg) und Collagen („‚Berliner Schule‘ an der dffb 1984–95. Teil 1: Die Akademie“ von Michael Baute), außerdem geben ehemalige Schüler Auskunft über die Aufnahmeprozedur wie Ludger Blanke: „In der Nacht habe ich mich dann zusammen mit Detlev Buck betrunken, der die Prüfungskommission mit einem Sack Kartoffeln ‚bestochen‘ hatte – und aufgenommen worden war.“

Auch Cornelia Jacobsen verlor 1966, also dem Eröffnungsjahr der dffb, in der Zeit einige Worte zur Aufnahmesituation: „825 Bewerber hatten sich gemeldet, um an der Akademie zu studieren. Die meisten ließen nichts mehr von sich hören, als man Belege über ihrer künstlerische Betätigung – das war Voraussetzung – haben wollte. 245 blieben übrig, von denen schließlich 74 zur Aufnahmeprüfung zugelassen wurden.“ Hartmut Bitomsky, Gerd Conradt, Harun Farocki, Thomas Mitscherlich, Wolfgang Petersen, Helke Sander und Günter Peter Straschek waren unter ihnen, der erste Jahrgang, der auch gleich die erste Krise der Filmakademie mitmachte und -initiierte. Als „reaktionär-administrativ“ etwa wurde das Direktorenduo Heinz Rathsack und Erwin Leiser empfunden, 1968 kam es außerdem zur Besetzung des Deutschlandhauses am Theodor-Heuss-Platz und die dffb wurde vorläufig in „Dsiga-Vertov-Akademie“ umgetauft.

Dozenten dürfen lernen

Student Straschek, der 1967 mit sechs weiteren Kommilitonen von der Akademie verwiesen worden war, mittels Protesten den Studentenstatus aber bald zurückerhielt, um dann 1968 freiwillig zu gehen, fasste die jungen dffb-Jahre 1974 in der Zeitschrift Filmkritik folgendermaßen zusammen: „34 Studenten, mehrheitlich nach einem (abgebrochenen) Erststudium oder diversen Berufserfahrungen dezidiert auf die Realisationsmöglichkeit angestauter Ideen wartend, theoretisch meist vorgebildet, selbstbewusst; eine fachlich unzulängliche Dozentenschaft, feige zwischen Direktion und Studentenschaft sich herumstoßen lassend; eine überforderte Direktion insbesonders gegenüber Anfangsschwierigkeiten der Akademisierung und: die unschuldigen Jahre der Studentenrevolte = 1966–68 studierte ich Regie an der deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin GmbH.“ Straschek befand: „Selbst bei meiner Übertreibungsmarotte gehe ich nicht fehl mit der Behauptung, dass die Dozenten mehr von uns gelernt haben als wir von ihnen.“

Von einer „Atmosphäre“, „gut“ und „offen“ und „tolerant“, konnte Zeit-Autor Wolf Donner derweil schon 1972 wieder berichten, ganz im Gegensatz übrigens zur Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, wo er „untereinander hoffnungslos zersplitterte Studenten“, „Frustration, Lethargie, mangelnde Motivation“ ausmachte.

Die dffb, die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin, nahm 1966 ihren Betrieb auf. Damals noch am Theodor-Heuss-Platz gelegen, stellten 34 Studenten den Grundstock, darunter Hartmut Bitomsky, Harun Farocki, Helke Sander und Gerd Conradt. Eines der Grundprinzipien der dffb lautet: „Film kann man nicht lehren, Film kann man nur lernen.“

Gemäß diesem Prinzip bildet die Akademie in den Fächern Regie, Kamera und Produktion aus. Sie blickt auf eine stark politisierte Studentenschaft zurück, deren Kampfbereitschaft vor allem die Anfangsjahre der Akademie prägte und damit gewisser­maßen auch den dffb-Geist.

Das fünfzigjährige Jubiläum feiert die Filmhochschule – die sich heute zusammen mit dem Arsenal und der Deutschen Kinemathek im Filmhaus am Potsdamer Platz befindet – nun auch mit einer ausführlichen, am Montag, 20. März, startenden Filmreihe im Kino Arsenal. Bis 30. März erlaubt sie – teils in Anwesenheit der RegisseurInnen – einen Einblick in ein halbes Jahrhundert studentisches Filmschaffen. Programm: www. arsenal-berlin.de

All dies und noch viel mehr kann im Jubiläumsband „dffb – 10 Jahre Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin“ nachgelesen werden, einem recht merkwürdigen, teils aber unterhaltsamen Sammelsurium. Da ist man heute, vierzig Jahre später, vielleicht doch ein bisschen woanders.

Neben dem Archiv wird nämlich auch eine Filmreihe im Kino Arsenal sowie ein Symposium – „The Shock of the Real – Filmmakers in Dialog“, 24. bis 26. März – präsentiert. Allerdings muss fairerweise eingeräumt werden, dass der Filmkorpus heute ein ungleich größerer, anderer ist. Beachtliche Teile von ihm haben Madeleine Bernstorff, Hannes Brühwiler, Ralph Eue, Lukas Foerster, Frederik Lang und Fabian Tietke in den vergangenen Monaten gesichtet und daraus das Programm zusammengestellt.

Zwischen dem 20. und 30. März sind im Arsenal also Kurz- und Langfilme zu sehen, Politisches, Experimentelles und Dokumentarisches – Produktionen, die in Projektgruppen oder als Abschlussfilme an der dffb entstanden. Und es befinden sich einige Überraschungen darunter: Sema Poyraz’ Abschlussfilm „Gölge“ (1980) beispielsweise, ein in einer winzigen Zweizimmerwohnung (der erwähnte Grundriss) in Kreuzberg gedrehter Coming-of-Age-Film, der von Gölges Eingeklemmtsein im streng durchkomponierten Familiengeschehen erzählt, von sexuellem Erwachen und der Lage türkischer Gastarbeiterfamilien erster und zweiter Generation.

Auch Angela Schanelecs „Das Glück meiner Schwester“ (1995) ist ein selten gezeigtes Debüt, das von zwei Frauen handelt, Schwestern, die beide in einem Liebesverhältnis zum selben Mann stehen. Experimentalfilme Ute Aurands und Ulrike Pfeiffers zählen zur Reihe, außerdem zwei frühe Filme ­Raoul Pecks.

Innere Querelen ausgespielt

Der erste Jahrgang initiierte auch gleich die erste Krise der Filmakademie mit

Carlos Bustamantes Kurzfilm „De opresso liber“ (1968) verweist auf die politisch radikalen Anfangsjahre der Akademie, ebenso Harun Farockis „Ihre Zeitungen“ (1967) oder auch „Ach Viola“ (1971) von Rainer Boldt. Letzterer ein nicht wenig anstrengender Versuch, die im Suizid mündende Resignation Violas (gespielt von dffb-Studentin Marianne Lüdcke) herzuleiten, die zwischen marxistischer Theorie und selbstgebastelten Autobomben jede Übersicht verliert. Dazu gibt es waghalsige Kamerafahrten und bübisch vorgetragene Einsprechtexte.

Obwohl sich die Reihe ebenfalls auf die Wendejahre konzentriert (Thomas Arslans „Am Rand“ von 1990 ist ein beinahe kontemplativer Spaziergang) und auf Produktionen neueren Datums („Ihr und eure Welt“, Janin Halisch, 2014), scheinen diese ersten dffb-Filme von besonderer Relevanz: sie externalisieren gewissermaßen die inneren Querelen der damals jungen Akademie.

Mit denen es sich heute übrigens keinesfalls erledigt hat. Erst 2015 wurde nach wiederholten wie intensiven Auseinandersetzungen zwischen Kuratorium und Studentenvertretung der Brite Ben Gibson zum neuen Direktor und Nachfolger des bereits 2014 zurückgetretenen Jan Schütte ernannt.