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Die Hölle ist die Familie

Theater Bekennender Muslim und bekennend schwul: Am Grips Theater feierte „Nasser #7Leben“ seine Uraufführung

Szene aus „Nasser #7Leben“ im Grips Theater Foto: David Balzer

von Kriss Rudolph

Fast genau zwei Jahre ist es her, dass Nassers Vater und zwei seiner Onkel in Berlin vor Gericht standen. Sie wurden am 12. März 2015 wegen Freiheitsberaubung und der Entziehung Minderjähriger zu 90 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt, insgesamt 1.350 Euro. Nasser trat damals als Nebenkläger auf, allerdings nicht mit Rachegefühlen: „Ich will erreichen, dass die Öffentlichkeit auf Fälle wie meinen endlich aufmerksam wird“, sagte er. Das ist ihm gelungen, weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus.

Nasser war 15, als er geoutet wurde. Ein harmloses Foto, aufgenommen bei einer schwulen Party, machte bei Facebook die Runde. Für seine Familie, die aus dem Libanon nach Deutschland gekommen war, eine Riesenschande. „Schwulsein ist eine Todsünde“, sagten sie, „das gibt es nicht im Islam!“

Ein Onkel habe ihn mit Benzin übergossen, so Nasser, seine Eltern hätten ihn ausgepeitscht und mit kochendem Wasser verbrüht. Im Libanon, erklärte man ihm, warte seine Braut auf ihn; der Teenager sollte ein Mädchen heiraten, das noch jünger war als er.

Nasser rannte weg und fand Unterstützung beim Berliner Jugendamt. Aber dann lockte ihn seine Mutter nach Hause. Sein strenger Vater sei nicht da, log sie ihm an. Sie boten ihm etwas zu trinken an, das ihn müde machte. Erst im Auto kam er wieder zu sich. Da war er schon unterwegs Richtung Libanon. An der rumänisch-bulgarischen Grenze wurde der Wagen gestoppt.

Nasser wurde oft gefragt, warum er keinen Film oder ein Buch aus seiner Geschichte mache. „Ich habe dazu nie was gesagt, weil ich auch noch ein Privatleben haben wollte, wie jeder andere Teenager.“ Dann kam die Anfrage vom Grips Theater, das er als Kind oft besuchte, weil ihn die Stücke begeisterten.

Am Dienstag feierte nun „Nasser #7Leben“ Uraufführung am Grips Podewil, empfohlen für Menschen ab 13. Die Autorin Susanne Lipp hat auf Grundlage von Nassers Berichten ein spannendes, aber auch unterhaltsames Theaterstück für vier Personen geschrieben, Regie führt Maria Lilith-Umbach. Die Zahl 7 steht für den wiederholten Verlust der Mutter, beginnend mit Geburt und Durchtrennung der Nabelschnur, bis zu den Lügen, mit denen sie ihn nach Hause lockt, sowie einer späteren Zufallsbegegnung, bei der sie ihn als „Missgeburt“ bezeichnet.

In der Grips-Version ist der junge Aktivist, der Demonstrationen gegen Homohass angeführt hat und 2015 vom Bündnis gegen Homophobie mit dem „Respektpreis“ ausgezeichnet wurde, ein YouTuber (sehr sympathisch: David Brizzi). Videoeinspielungen mit realen Kommentaren aus den sozialen Netzwerken zeigen, dass er mit seiner Geschichte und dem Kampf gegen Unterdrückung vielen jungen Menschen Mut gemacht hat, nicht nur Muslimen.

Da sich das Grips als „emanzipatorisches Kinder- und Jugendtheater“ versteht, wurden im Vorfeld der Premiere Schulklassen zu den Proben eingeladen. In der Generalprobe saßen unter anderem zwei 7. Klassen einer Steglitzer Oberschule. Die Schüler im Alter 12 bis 14 wurden von den Theaterpädagogen explizit gefragt: Könnt ihr euch vorstellen, dass Nasser euer Freund ist? Das Urteil fiel einhellig aus. Bei den Mädchen sowieso, die Nasser „süß“ fanden und überhaupt: „Schwule Jungs sind viel netter.“

Nasser, mittlerweile 20 Jahre alt, ist sehr glücklich mit der Produktion

Aber auch die Jungs stimmten zu, darunter etliche Muslime, auch einige mit libanesischen Wurzeln: Klar könnte Nasser ihr Freund sein, sagen sie, sowohl die Bühnenfigur wie auch der echte Nasser, den alle total sympathisch finden.

Erfreuliche Antworten, wenn man bedenkt, dass „schwul“ und „Schwuchtel“ auf Schulhöfen noch immer sehr beliebte Schimpfwörter sind. David Vogel, der das Stück als Theaterpädagoge betreut, ist sehr zufrieden mit dem Feedback, gibt aber auch zu bedenken, dass bei direkter Nachfrage natürlich alle erst mal sagen, das mit dem Schwulsein sei gar kein Problem. „Man muss da noch ein bisschen weiterarbeiten und zu den Stereotypen und Rollenvorurteilen durchdringen, die in den Köpfen herumschwirren.“

Auch Nasser, mittlerweile 20 Jahre alt, ist sehr glücklich mit der Produktion. „Ich finde das sehr berührend. Nicht weil es meine Vergangenheit ist, die auf der Bühne gezeigt wird, sondern weil es so gut rübergebracht wird: ein junger Mann, der dafür kämpft, so leben zu können, wie er will. Warum soll das zusammen nicht gehen: ein gläubiger Muslim sein und schwul?“

Kontakt zu seinen Eltern gibt es nach wie vor nicht. Er weiß aber aus „sicherer Quelle“, dass sie von dem Theaterstück erfahren haben. Sollten sie sich das Stück anschauen, so glaubt er, würde es ihnen sicher gefallen. Vielleicht hilft es ihnen sogar, ihren Fehler einzusehen. Er schließt nicht aus, dass seine Familie eines Tages auf ihn zukommt. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt Nasser.

Weitere Vorführungen: 16. 3., 11 Uhr, 4. 4., 18 Uhr, 5. 4. und 6. 4., 11 Uhr

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