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Versöhnung nach 500 Jahren

ÖKUMENE Die Spitzen der evangelischen und katholischen Kirche treffen sich zum gemeinsamen Gottesdienst in Hildesheim – und wollen weiter aufeinander zugehen

Aufstehen, aufeinander zugehen: Bedford-Strohm (l.) und Marx in Umarmung Foto: Jens Schulze/dpa

Aus Hildesheim Philipp Gessler

Hunderttausende, ja Millionen von Toten – das ist das Ergebnis der Reformation vor 500 Jahren und des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648. Totaler Krieg, Terror, Folter, Hunger und Epidemien waren die Folge eines gesamteuropäischen Ringens, an dessen Anfang ein Mönch und Theologie-Professor von der Provinzuniversität Wittenberg stand, der 95 Thesen zur Reform der Kirche veröffentlichte.

Aber bewegt das noch jemanden? Muss man heute noch diese uralten Wunden heilen, Schuld bekennen und um Verzeihung bitten?

Die katholische und evangelische Kirche, der hierzulande rund 45 Millionen Menschen angehören, meinen: ja. Kirchen glauben an Symbole – und sie haben ein langes Gedächtnis. Deshalb gab es am Samstagabend – ein halbes Jahrtausend nach dem Beginn der Reformation des Martin Luther – in Hildesheim einen ökumenischen Gottesdienst in der St.-Michaelis-Kirche. Mit dabei: Bundespräsident Joachim Gauck in seiner fast letzten Amtshandlung, Bundestagspräsident Norbert Lammert und Kanzlerin Angela Merkel. Sie waren Gast in einem hoch symbolischen Gottesdienst, der unter dem Motto stand: „Healing of memories“ – die Erinnerungen heilen, angelehnt an das gleichnamige Motto in Südafrika, das zum Ziel hatte, die mentalen Folgen der Apartheid zumindest ein wenig in den Griff zu bekommen.

Das ist Pathos – und an ihm mangelte es dem Gottesdienst beileibe nicht. Ein zentrales Symbol der Feier: Zehn junge Männer und Frauen richteten ein mächtiges Eisengestell auf, das in der Mitte des Kirchenschiffs lag und einer riesigen Panzersperre glich: Nun wurde daraus ein Kreuz mit Schenkeln in alle Himmelsrichtungen. Dazu gab es Solo- und Chorgesang aus fünf Jahrhunderten, in einer Abteikirche aus dem 11. Jahrhundert, die zum Weltkulturerbe gehört, und unter einer 800 Jahre alten Deckenbemalung, die schöner in Mitteleuropa nicht zu finden ist. Was braucht es da noch Worte?

Und doch gab es viele von ihnen – auch weil mehr als ein Wortgottesdienst theologisch derzeit nicht möglich ist zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Gegen ein gemeinsames Abendmahl sperrt sich die katholische Kirche.

„Uns Christen ­bekommt niemand mehr auseinander“

Kardinal Reinhard Marx

Dafür erfolgte mehrmals das Bekenntnis von historischer Schuld samt der Bitte um Vergebung, geäußert von den Spitzen der evangelischen und katholischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Marx. „Uns Christen bekommt niemand mehr auseinander“, sagte Marx. Bedford-Strohm und Marx erklärten beide im Namen ihrer Kirchen: „Wir danken euch, dass es euch gibt.“ Und das Duzen der beiden befreundeten Münchner Bischöfe, die gerade mal fünf Radminuten voneinander entfernt arbeiten, war am Ende wohl beredter als alles, was in diesem Gottesdienst angesichts seines historischen Anspruchs gesagt wurde.

Pathetische Worte können ins Leere gehen, Symbole können scheitern – und doch war dieser Gottesdienst und ist dieses einjährige Reformationsjubiläum, das im vergangenen Herbst begann, etwas Besonderes: Erstmals wird es nicht in Abgrenzung gegen die andere Konfession begangen wie in den fünf Jahrhunderten zuvor, sondern im Bemühen, das eigene Versagen zu benennen und gemeinsam in die Zukunft zu schauen.

In wenigen Jahren werden die Christinnen und Christen nicht mehr die Mehrheit in Deutschland ausmachen. Ob von ihnen jemand katholisch oder evangelisch ist, wird dann niemanden mehr ernsthaft interessieren. Und das zu Recht. Der ökumenische Gottesdienst am Samstag in Hildesheim war ein wichtiger Schritt dorthin.

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