: Wenn die Politiker es schon nicht hergeben
Festival USA Im Konzerthaus Berlin wurde die gesamte Vielfalt der Arbeit US-amerikanischer Komponisten dargeboten. Viel Aufmerksamkeit wurde Philip Glass zuteil
von Lorina Speder
Philip Glass feierte diesen Januar seinen 80. Geburtstag. Da passte ein Rückblick auf die bedeutendsten Werke des in New York lebenden Komponisten gut in das Programm des Festivals USA, das sich im Konzerthaus Berlin zehn Tage der Vielseitigkeit der in den USA geschriebenen Musik widmete.
Die Angestellten im Haus trugen ein mit weißen Sternen versehenes rot-blaues Tuch, der Popcornverkäufer sah mit dem weißen Bart, seinem Zylinder und Kostüm in den USA-Nationalfarben aus wie Uncle Sam persönlich. Entgegen der politischen Lage in den Vereinigten Staaten wirkte die Aufmachung erfrischend und verspielt.
Dreimal wurde in den zehn Tagen Musik von Philip Glass vorgetragen. Am Dienstagabend eröffnete der Pianist der Stunde, Víkingur Ólafsson, den ausverkauften „Klavierwerke“-Abend mit dem berühmten Opening aus dem Werk „Glassworks“.
Das Stück gilt als kommerzieller Durchbruch von Glass, der 1981 mit der ausdrucksvollen Komposition erstmals ein breiteres Publikum erreichte. Kritiker bemängeln zwar oft die Oberflächlichkeit und vermeintliche Einfachheit von Glass’ Veröffentlichungen, besonders bei diesem Stück. Doch am Klavierabend im Kleinen Saal des Hauses wird deutlich, wie komplex die Werke mit den populären Harmonien und sachten Tönen wirklich sind.
Allein die ersten Sekunden des Openings verschlugen einem den Atem. Die gefesselte Monotonie, die Ólafsson am Anfang durch sein Spiel erzwungen hat, löste sich bald in einen sanften Aufbau von Tönen auf, der mit leichten Betonungen des Basses einherging. Die unendlichen Wiederholungen und Schleifen in den Motiven wusste der Interpret geschickt und immer anders hervorzuheben, sodass Glass’ Spiel von Harmonie und Rhythmus zum Vorschein kommen konnte.
Ólafsson selbst hat dem Meister seine Ansätze vorgespielt und zählt zu den Bewunderer von Glass’ Kompositionen. Die vorgetragenen Etüden, die der Musiker von 1994 bis 2014 schrieb, beinhalten gespielte Echos und das Zurückkehren zu Anfangsharmonien – es sind die Merkmale, die man Glass’ Werken zuschreibt.
Als er in den 60er Jahren als Komponist begann, Musik zu schreiben, war die Musikszene geprägt von atonaler Avantgarde. Die Emanzipation der Geräusche hatte mit John Cages Werk 4,33‘‘ (1952), einem Stück, in dem ein Pianist vier Minuten und 33 Sekunden nicht das Klavier berührt, seinen Höhepunkt schon erreicht. Harmonien und Melodien wurden als Tabu der Zeit wahrgenommen. Glass’ Musik wurde mit ihrer Tonalität zu einer Art Gegenbewegung. Die Symmetrie der Motive und die Wiederholung in seinen Stücken waren damals für die Ohren wieder neu.
Noch heute schreibt Glass täglich neue Stücke. Inzwischen hat sich das Spektrum seiner Musik erweitert. So arbeitete er mit dem berühmten indischen Musiker Ravi Shankar zusammen und ließ diesen Einfluss auch in seine Kompositionen einfließen. Trotzdem ist Glass als Wegbereiter der Minimal Music bekannt und gilt als einer der meistgehörten Komponisten der Gegenwart.
Am finalen Wochenende des Festival USA führte Dirigent Iván Fischer am Freitag und am Sonntag durch ein vielschichtiges Programm, das neben Glass’ „Facades“ drei weitere Werke amerikanischer Komponisten zeigte.
Darunter war die berühmte Rhapsodie von George Gershwin, die 1924 mit ihm selbst am Klavier uraufgeführt wurde und Jazz und Sinfonik vereint. Sie wurde vor der Pause mit John Coriglianos Stück „Tournaments“ dargeboten. In beiden Stücken donnerte das Schlagzeug, und die Bläser waren gefordert. Gleichermaßen erinnern die Werke an amerikanische Filmmusik, auch wenn Gershwin an die glorreichen 20er Jahre im Great-Gatsby-Stil denken ließ und Coriglianos Musik in nervenaufreibender Spannung eher einen Thriller hätte abbilden können.
Wirklich minimalistisch wurde es zur zweiten Hälfte. Die Wellenbewegung in der „Facades“-Komposition von Glass hypnotisierte und strahlte im Gegensatz zum donnernden Blech der vorherigen Stücke ein Innehalten aus. Das Orchester war hier ganz vereint. Nur langsam baute es die Wiederholungen des für Glass so typischen Anfangsmotivs auf und verstummte am Ende wie in einem organischen Kreislauf. John Adams’ „Fearful Symmetries“ griffen, wie es der Titel vermuten lässt, Symmetrien auf. Diese entstanden immer wieder und spannten mit Synthesizer-Unterstützung den Bogen über Minimal, Techno, populäre Musik und sinfonische Darbietung. Die Unvorhersehbarkeit des Stücks, welches auch Ruhephasen aufweist, macht es besonders.
Die vier unterschiedlichen Stücke an den letzten Tagen des Festivals waren ein krönender Abschluss. Denn wenn es schon die Politiker nicht hergeben, so war das Publikum unmittelbar daran erinnert, wie kulturell vielfältig und wegweisend die amerikanischen Komponisten noch heute sind.
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