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Die USA sind an allem schuld

DOKUMENTARFILM Korrupte Eliten, die EU unter der Knute der Vereinigten Staaten, „Russia Today“-Sound: „Europa – Ein Kontinent als Beute“ hat unterirdisches Niveau

„Plakativ“ und „Plakat“ hat nicht von ungefähr den gleichen Wortstamm Foto: Still: Salzgeber

von Tilman Baumgärtel

Der Film „Europa – Ein Kontinent als Beute“ von Christoph Schuch und Reiner Krausz rührt – möglicherweise berechtigte – Kritik an der Europäischen Union und sozialer Spaltung wahllos zusammen mit politischen Allgemeinplätzen und Verschwörungstheorien, mit verantwortungslosem Gelaber und barem Unsinn. Die simple politische Botschaft des Films: Die USA haben ein willfähriges Europa unter ihrer politischen Knute. Der Hauptzweck der Europäische Union ist es, die südeuropäischen Länder durch aufoktroyierte Sparmaßnahmen kaputt zu machen. Durch die EU-Politik im Allgemeinen und ihre Maßnahmen zur Bewältigung der Finanzkrise im Besonderen werden die Armen ärmer und die Reichen reicher.

Schwätzer & Quatschköpfe

Selbst wer diesen plakativen Aussagen zunächst einmal zustimmt, dürfte an diesem Film bald Zweifel bekommen. Denn filmisch illustriert werden diese steilen Thesen zunächst durch Aufnahmen von Investitionsruinen in Spanien, welche zum Teil sehr schön fotografiert sind. So sehen sie zwar tatsächlich megaloman und überkandidelt aus, aber bei näherer Betrachtung erweisen sie sich als Produkt der Geltungssucht von Lokalpolitikern, nicht von finsteren EU-Umtrieben. Da der Film seine Argumente visuell nicht untermauern kann, müssen „Talking Heads“ ran, die dann scheinbar unkontrolliert reden dürfen.

Und reden und reden und reden. Gefühlt die Hälfte des Films können die eitlen Schwätzer Daniele Ganser und Dirk Müller ihr ganz spezielles Weltbild verbreiten. Kompetente, integre Kritiker des Neoliberalismus oder der Europäischen Union gibt es ja nun wahrlich genug. Warum muss man ausgerechnet diese Figuren vor die Kamera setzen?

Der Schweizer Daniele Ganser, der unter anderem Bücher über die Geheimoperationen der CIA geschrieben hat, ist als Wissenschaftler diskreditiert, seit er 9/11-Verschwörungstheorien verbreitet. Und Dirk Müller ist dieser volkstümliche Börsen-Quatschkopf mit den silbernen Anzügen und hessischem Zungenschlag. Der saß vor Jahren unter der DAX-Kurstafel an der Frankfurter Börse und wurde so lange für Pressefotos zusammen mit der Tafel fotografiert, bis die Öffentlichkeit und er selbst sich für „Mr. Dax“ hielten. Müller nutze seine mediale Bekanntheit, wurde Buchautor und Anlageberater mit wechselhafter Erfolgsgeschichte und hat sich einen treuen Fankreis von Leuten gesichert, die es bei der Erklärung von Wirtschaft nicht allzu kompliziert haben möchten. Und die sich auch nicht von abstrusen, unbewiesenen Theorien grausen wie die, die er in seinem Buch „Showdown“ (2013) verbreitet. Da erklärt er den staunenden Lesern nämlich die Griechenlandkrise als US-Verschwörung, mit der man sich angebliche griechische Energiereserven im Mittelmeer sichern und den Euro destabilisieren will.

In dieses Horn stößt Müller auch im Film und erklärt die gegenwärtige Krise Europas mit einem 1997 (!) erschienenen Buch von Zbigniew Brzezinski, einst Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter. Der beschrieb in „Die einzige Weltmacht“, wie die USA den „eurasischen Kontinent“ in Zukunft unter Kontrolle halten sollten. Die Resultate dieser Methoden erleben wir laut Müller heute, zwanzig Jahre später und trotz einer schon unter Obama eingeleiteten Rückzugsstrategie aus der internationalen Politik. Daniele Ganser wartet unter anderem mit einem unbestätigten Zitate von Lyndon B. Johnson von 1964 auf, um die antieuropäische Richtung der USA der Gegenwart zu belegen.

Die USA sind an allem schuld? Möglicherweise ist es mit diesem Weltbild aus der Zeit des Kalten Krieges zu erklären, dass hier zwei altlinke Filmemacher in derart trübe ideologische Gefilde abgeglitten sind. (Christoph Schuch hat immerhin mal einen Film über Ton Steine Scherben gemacht.) Ihr Film wirkt jedenfalls, als sei er aus Trollkommentaren in den Leserforen der deutschen Presse zusammengebastelt.

Zwei altlinke ­Filmemacher sind hier in trübe ­ideologische Gefilde abgeglitten

Angereichert mit Gerede von „korrupten Eliten“, aufgepeppt mit Bildern von wütenden Demonstranten und Polizeigewalt und unterlegt mit atonaler Musik erzeugt der Film genau den apokalyptischen Sound vom Untergang des Abendlandes, den man von Pöbelmedien von „Tichys Einblick“ bis „Russia Today“ (RT) kennt. Es ist exakt diese Mischung aus Appellen ans Gefühl und suggestiven Verallgemeinerungen, starken Slogans und geringem Differenzierungsvermögen, die den Populismus der Gegenwart prägen. Dem Zuschauer vielleicht Gelegenheit zum Nachdenken geben? Bloß nicht, es herrscht schließlich gerade Alarmstufe Rot!

Komplett verstörend

Dass dieser Film überhaupt ins Kino kommt, ist eigentlich erschreckend genug. Dass viele der Kinos, die den Film zeigen, aus dem Alternativmilieu stammen, macht die ganze Sache noch gruseliger. Dass der linke EU-Abgeordnete Fabio De Masi, der im Film ebenfalls zu Wort kommt, diesen nun bewirbt, ist vollkommen unverständlich. Komplett verstörend ist, dass dieses Machwerk von der Hessischen Filmförderung subventioniert wurde. Und dass es von der Edition Salzgeber vertrieben wird, die bisher eher als Heim des schwullesbischen Films von Monika Treut bis Axel Ranisch bekannt war.

Irgendwie scheint auch nach Brexit und Anti-EU-Gestänker von AfD bis Orbán nicht jedem klar zu sein, dass Kritik an der Europäischen Union nicht automatisch links oder sonst wie progressiv ist. Offenbar fehlt noch immer ein Gespür dafür, auf welchen Ton man achten muss, wenn sich rechte Populisten als frischgebackene Kapitalismuskritiker präsentieren. Die Internet-Wutbürger haben da ein feineres Ohr. Auf der Facebook-Seite des Films finden sich schon Kommentare im bekannten Stil: Der Film würde Leute zu Wort kommen lassen, die dem „Mainstream ein Dorn im Auge (sind)… weil sie die Dinge offen beim Namen benennen.“ Nimm das, Lügenpresse.

„Europa – Ein Kontinent als Beute“. Dokumentarfilm, Regie: Reiner Krausz,Christoph Schuch. Mit Fabio De Masi, Dirk Müller u. a. Deutschland 2016, 78 Min.

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