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Früher war mehr Weserlust

Stadtentwicklung II Ein neues Buch beleuchtet die Geschichte des Osterdeichs: Vom Arme-Leute-Viertel zur Prachtmeile zur Durchgangsstraße

Arme Leute mussten den Millionärs-Villen weichen

Der Osterdeich heute: Eine vier Kilometer lange Durchgangsstraße, an der nur noch die eine oder andere Prachtvilla daran erinnert, dass auch hier ein Stück Bremer Geschichte schlummert. Der Bremer Autor Johann Günter König hat nun einen „anderen Stadtführer“ über den Osterdeich geschrieben, in dem er die Geschichte des Deiches und seiner Bewohner erzählt.

Wieso eigentlich Osterdeich? Als die ersten Villen direkt vor den Toren der Stadt an der Weserpromenade gebaut wurden, da bekamen sie die Adresse „Bleichstrasse“. Im Volksmund sprach man von „Punkendeich“, aber das war unschicklich – „Punken“ hießen seit dem Siebenjährigen Krieg die Huren, die dort zwischen dem „Altenwall“ und dem „Sielwall“ – benannt nach dem Abwasser-Siel – standen. Es gab keinen Deich dort, nur einen kleinen Wall. Arme Leute hatten ihre einfachen Häuser in dem Gebiet errichtet, das keinen ausreichenden Schutz vor Hochwasser bot. Der Deich verlief etwas weiter hinten etwa auf der Höhe der Kreuzstraße und dann auf einer Linie, die heute als „Hulskamp“ bekannt ist.

Der neue Deich, der 1863 als vorzeigbare Adresse den Namen „Osterdeich“ erhielt, entstand in mehreren Bauabschnitten zwischen 1850 und 1893. Bremer Familien mit wohlklingenden Namen bauten dort ihre Villen: Die Fockes, Pavenstedts, Plumps, Jacobs, Ritters, Schüttes, Ronnings, Borgwards oder Wätjens. Die Grundstücke boten einen freien Blick auf die Weser, in der im Sommer gebadet wurde. Der Kaufmann August Theodor Plump machte 1854 den Anfang mit seiner Villa – etwa dort, wo heute die Theatergaragen sind. Nebenan folgte die Villa von Christian Heinrich Wätjen. Grundstück für Grundstück verdrängten die wohlhabenden Bremer Kaufmanns-Familien die Hütten der armen Leute.

Um die Jahrhundertwende war der Osterdeich neben der Contrescarpe bereits der Straßenzug in Bremen mit der größten Zahl von Millionären. Der „Durchgangsverkehr“ lief parallel durch die Hamburger Straße, nur die Anwohner fuhren mit ihren Pferdekutschen über den Spazierweg auf dem Deich. Das änderte sich vom Jahre 1915 an, die Villenbesitzer kauften sich Automobile, und schon ab 1932 gibt es Hinweise darauf, dass die Adresse aufgrund des Verkehrsaufkommens langsam ihre Noblesse verlor.

Unzählige Geschichten kann der Autor Günther König, der für das Buch Bremer Adressbücher ausgewertet hat, mit dem Osterdeich verbinden, etwa die von Ernst Rowohlt, der Gründer des renommierten Verlages, der hier 1887 geboren wurde. Zu den renommierten Adressen am Deich gehörte über Jahrzehnte auch die von Franz Schütte finanzierte „Weserlust“, ein Ausflugslokal mit „Concertgarten“ und Kegelbahnen. Noch 1950 nahm Radio Bremen mangels Sendesaal dort seine ersten Orchesterkonzerte auf. 1963 wurde die Weserlust abgerissen. Gleich daneben, wo heute ein Autohaus mit großer Glasfassade protzt, hatte der Botaniker Georg Bitter einen kleinen botanischen Garten angelegt – zur „Selbstbelehrung“ an der frischen Luft.

Bausünde reiht sich heute an Bausünde, wenn man die Bilder der Vergangenheit dagegen stellt. Wo heute der Beton-Kasten des Hansa-Carrés ein Beispiel für moderne Architektur gibt, standen Borgwards „Goliath“-Hallen. Die Werksfeuerwehr löschte übrigens in den Bombennächten des 2. Weltkrieges so manchen Brand am Osterdeich – schnell und unbürokratisch. Verschont geblieben ist der Osterdeich nur von den Planungen für die Mozarttrasse – die Stadtplaner wollten ihn zum Autobahn-Zubringer machen. Klaus Wolschner

Johann-Günter König: Der Osterdeich, Kellner 2016, 15 Euro

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