: Werdende Eltern im Kaufrausch
Nestbau Kaum wissen sie, dass sie ein Baby erwarten, beginnen werdende Eltern mit der Anschaffung unnützer Dinge wie Beistellbettchen und Kinderwagen
von Eiken Bruhn
Werdende Eltern müssen kaufen. Vielleicht auch leihen oder sich schenken lassen. In jedem Fall brauchen sie Dinge. Wer sich einen Hamster zulegt, muss schließlich auch einen Hamsterkäfig besorgen sowie ein Laufrad.
Nicht anders geht es denen, die bald oder auch erst in einigen Monaten zum ersten Mal mit einem Baby zusammenleben werden. Wenn sie nicht bereits auf dem Nestbau-Trip sind und die einschlägigen Internet-Shops durchforsten, dann merken sie spätestens in dem Moment, dass ihnen etwas fehlt, wenn Verwandte und Freunde versuchen, unnützes Babyzubehör loszuwerden. „Braucht ihr eigentlich noch …“ Diese Frage sollte man grundsätzlich mit Nein beantworten, es sei denn, der Keller ist groß genug.
Was aber gehört zur Grundausstattung, welche Angebote sollten keinesfalls ausgeschlagen werden? Anders gefragt: Was ist des Babys Hamsterrad?
H. beispielsweise glaubte, dass ein Beistellbett eine famose Idee ist. Es klingt verführerisch. Das Baby bekommt ein klitzekleines Bettchen ganz für sich allein, seine Eltern behalten das große Bett für sich und trotzdem ist Baby ganz nah dran, weil eine Bettseite offen ist und einfach ans Elternbett drangestellt wird. Win-win!
Das ist die Theorie. Ich habe die Praxis vor ein paar Jahren getestet, zwar mit einem geliehenen Bett, aber einer eigens angeschafften Matratze „mit elastischem Kern aus latexierten Kokosfasern“, weil die bei Tests am besten abgeschnitten hatte. War nicht billig. Das Kind, das damit beglückt werden sollte, schlief genau eine Nacht darin. Erst schien das Baby zu klein, um irgendwo anders zu schlafen als zwischen seinen Eltern, dann hatte es eine ganze Matratze für sich allein, weil die Kindsmutter besser in einem anderen Zimmer schlief und dann war es irgendwann einfach zu groß. Mit Engelszungen redete ich als erfahrene Babybedarfs-Einkäuferin auf H. ein. „Warte mal ab, bevor ihr euch das kauft, ihr wisst nicht, ob ihr es wirklich braucht.“ Ich wurde nicht gehört.
Genauso hatte ich damals den Rat von S. ignoriert, nicht Monate damit zu verbringen, nach dem besten Kinderwagenmodell zu recherchieren. Drei Räder, vier Räder, lenkbar oder geländegängig, Metall- oder Kunststoffgestell, gebraucht oder neu, teuer oder sauteuer? „Wartet doch erst mal ab“, sagte sie, „am Anfang tragt ihr das Kind doch ohnehin erst mal.“ Wie recht sie damit hatte, konnte keiner wissen, denn das Kind lehnte den Kinderwagen – und überhaupt jegliche Lagerung in der Horizontalen – vier Monate lang rundweg ab.
Ich selbst habe übrigens daraus nichts gelernt und unter anderem beim zweiten Kind vor der Geburt ein total ergonomisches Tragegestell gekauft. Dafür hatte ich eigens einen Testbericht in einer Hebammenzeitschrift gelesen, die dieses wenig bekannte Modell als perfekte Alternative zum Tragetuch empfahl, also für alle, die wahnsinnig werden, wenn sie ellenlange Tücher um sich und das Neugeborene wickeln sollen und das womöglich vor Zuschauern.
Anders als beim Marktführer Manducca sollte das Modell wirklich für Neugeborene geeignet sein und trotzdem ganz easy zu knoten. War nicht billig. Konnte ja keiner wissen, dass das Kind bei seiner Geburt bereits so viel wog wie der Durchschnittsjunge mit vier Wochen. Und dass meine Schultern so ganz anders waren als die der jungen Mutter, die mir ein paar Monate zuvor von einem ähnlichen Modell vorgeschwärmt hatte. Das einzig befriedigende war, dass ich es fast zu genau dem Preis weiterverkaufen konnte, zu dem ich es erworben hatte.
Damit tröstete sich auch H., nachdem ihr Sohn sofort klar gemacht hatte, dass er niemals in einer Bucht liegen würde, sondern ausschließlich direkt neben seiner Mutter, ohne Besucherritze.
Die Liste unnützer Errungenschaften aus dem Babyfachhandel ist lang. Hier nur ein paar Beispiele: Badeeimer (den einen hui, den anderen pfui), Strampler ohne Füße, Sterilisatoren für Babyfläschchen (Ausnahme: für Menschen, die dazu neigen, Töpfe mit auszukochenden Plastikflaschen auf dem Herd stehen zu lassen).
Bleibt die Frage nach der richtigen Literatur: Wir hatten den Eindruck, irgendein Nachschlagewerk besitzen zu müssen – so wie Hamsterbesitzer. Unsere Hebamme, die wir um Rat fragten, guckte uns mit derselben Mischung aus Zweifel, Belustigung und Nachsicht an wie in dem Moment, in dem wir sie anbettelten, uns die Faustformel für temperaturgemäßes Babybekleiden zu verraten. Schließlich spuckte sie zwei Buchtitel aus, die wir folgsam bestellten. Weder der Beststeller „Babyjahre“ des Schweizer Kinderarztes Remo Largo noch der Anthroposophen-Klassiker „Kindersprechstunde“ konnten uns helfen, als Kind 1 und 2 in ihren ersten Lebensjahren jede Stunde aufwachten. Aber Largos Schwarte bescherte uns ein paar Glücksmomente, wenn die Entwicklung unserer Kinder mal nicht dem Durchschnitt hinterherhinkte, sondern sie ausnahmsweise die Nase vorn hatten. Das große gelbe Medizinbuch ist im ersten Teil, in dem es um Kinderkrankheiten und ihre Behandlung geht, durchaus informativ und bisweilen hilfreich. Aber der eigentliche Gebrauchswert liegt im zweiten Teil mit Ratschlägen zur Ernährung (keine Kartoffeln! Als Wurzelgemüse ziehen sie den Geist in die Erde!) und Erziehungsfragen. Jede müde Gesprächsrunde lässt sich mit vorgetragenen Auszügen anfeuern, vor allem, wenn Steinerhasser und -freunde zugegen sind.
Wer werdende Eltern – vor allem solche mit Perfektionszwang und Gesundheitsfanatismus – ärgern will, schenkt ein Ökotest-Jahresabo. Das macht alle Anschaffungsentscheidungen zu Jahrhundertprojekten und sorgt wiederum dafür, dass viel Geld für unnützes Zeug ausgegeben wird. So wäre es interessant zu erfahren, wie viele Hektoliter sündhaft teure Sonnenmilch – weil ohne Nano-Partikel – von wutentbrannten Eltern entsorgt wurden, weil sie es leid waren, ihrem Kind die dickflüssige Creme auf den Leib zu spachteln, während es sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt.
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