: Kinderlärm ist okay
gastbeitrag Mieterverein zu Hamburg empfiehlt gegenseitige Rücksichtnahme im Mietshaus
Stellen Sie sich vor, Sie liegen mit einem Krimi auf dem Sofa und freuen sich auf einen entspannten Nachmittag. Plötzlich geht über Ihnen der Krach los. Die Nachbarskinder. Sie lachen, streiten, heulen – für Kinder nichts Ungewöhnliches. Mit Ihrer Entspannung ist es jedoch schlagartig vorbei und Sie fragen sich genervt: Wie viel Krach dürfen Kinder machen?
Die Antwort ist nicht ganz einfach. Grundsätzlich gilt in Mehrfamilienhäusern das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Wer Familien mit kleinen oder heranwachsenden Kindern als Nachbarn hat, sollte jedoch Verständnis für eine erhöhte Lautstärke aufbringen. Gibt es dennoch Ärger zwischen den Mietparteien, weil eine einvernehmliche Regelung gescheitert ist oder kommt es sogar zum Rechtsstreit, muss die Gesamtsituation näher betrachtet werden. Denn das Gesetz kann allenfalls einen gewissen Rahmen vorgeben, nicht jedoch jeden Einzelfall regeln. Um zu klären, wer im Recht ist, muss eine Gesamtabwägung der Umstände vor dem Hintergrund des gesetzlichen Gedankens stattfinden.
Zum Beispiel kann nicht starr geregelt werden, dass jeglicher Kinderlärm innerhalb eines Hauses unterbunden werden muss. Die Umsetzung wäre schlichtweg nicht möglich und auch nicht verhältnismäßig. Daher gibt es recht allgemein gehaltene gesetzliche Regelungen, die versuchen, das menschliche Miteinander in einem Mehrfamilienhaus allgemeinverträglich zu regeln, ohne jedoch die Freiheit des Einzelnen zu sehr einzuschränken.
Im Streitfall wägen die Gerichte die widerstreitenden Interessen ab. Dabei stützen Sie sich auf die Regelungen des Mietvertrages und auf das Hamburgische Lärmschutzgesetz, das Regelungen in Bezug auf verhaltensbezogenen Lärm enthält. In den vergangenen Jahren wurde zudem die Tendenz der Rechtsprechung erkennbar, dass üblicher Kinderlärm eine Mietminderung ausschließt, weil es sich um eine hinzunehmende Beeinträchtigung handelt.
Wer im innerstädtischen Bereich sehenden Auges in ein Mehrfamilienhaus, womöglich in eine der begehrten Altbauwohnungen, zieht, muss mit Geräuschen aus der Nachbarschaft rechnen. Kinderlärm ist demnach grundsätzlich zu akzeptieren, hat sich aber ebenfalls – soweit möglich – innerhalb des gesetzlich normierten Rahmens zu bewegen.
Dabei kann es naturgemäß einen Unterschied machen, ob ein Neugeborenes in der Nacht schreit oder größere Kinder in den Abendstunden mutwillig Lärm erzeugen. Maßgeblich ist immer die Frage, ob es sich um vermeidbaren Lärm handelt. Eltern müssen ihren Erziehungsaufgaben nachkommen und verhindern, dass der Nachwuchs in der Wohnung Bobby-Car fährt oder Stühle-Weitwurf-Wettbewerbe austrägt. Zudem müssen Eltern darauf achten, dass die allgemeinen Ruhezeiten beherzigt werden. Hinzunehmen ist aber der mit dem üblichen kindgemäßen Verhalten verbundene Lärm wie das Schreien und Weinen von Kleinkindern oder Babys. Als Faustregel gilt: je jünger das Kind desto weiter die Toleranzgrenze.
ist Juristin und stellvertretende Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg.
Im Gegenzug sollten Eltern jedoch auch beherzigen, dass zwar die Abgrenzung von vermeidbarem und unvermeidbarem Kinderlärm manchmal fließend ist, aber dennoch im Hinblick auf das allgemeine Rücksichtnahmegebot darauf geachtet werden sollte, möglichst die Ruhestörungen einzugrenzen. Kinder werden auch am Wochenende leider sehr früh wach. Dann bietet es sich am Sonntag um sechs Uhr an, sich um das Kind aktiv zu kümmern, anstatt es lärmend durch die Wohnung ziehen zu lassen – so müde man selbst auch ist. Umgekehrt wäre es dann wünschenswert, wenn die Nachbarn, welche zu später Stunde zu Bett gehen, ebenfalls berücksichtigen, dass Eltern von Kleinkindern zu ihrem Schlaf kommen.
Je nach Standpunkt dürfte in diesem Zusammenhang tröstlich oder auch beunruhigend sein, dass nur in jedem sechsten Hamburger Haushalt schulpflichtige Kinder aufwachsen.
Mieterverein zu Hamburg, Beim Strohhause 20, 20097 Hamburg, ☎040-87 97 90
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