: Im Siegel-Wald
Orientierung Das EU-Öko-Label ist für Ökoproduzenten und Händler von Bedeutung. Aber es ginge noch besser
von Michael Pöppl
Zerrupfte Käfighühner, männliche Küken, die im Schredder landen, eingepferchte Schweine auf engstem Raum: Der Protest gegen Tierquälerei in der Landwirtschaft verbindet inzwischen die Wähler aller politischen Lager. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sind über 80 Prozent der deutschen Verbraucher bereit, für Fleisch aus „artgerechterer Tierhaltung“ mehr Geld auszugeben. Minister Christian Schmidt nutzte die große Medienaufmerksamkeit bei der Grünen Woche und stellte Ende Januar das neue „Staatliche Tierwohllabel“ vor. Lange angekündigt, wurde das neue Lebensmittelsiegel allgemein begrüßt. Kritik gab es aber von mehreren Seiten: Das neue Siegel mit ein bis drei Sternchen sei optisch blass und Schmidts „Schnellschuss“ zum Tierwohl zeige sich bisher als wenig aussagekräftig.
Was heißt denn Tierwohl aus Sicht des Ministeriums?, fragt sich der Verbraucher. „Am staatlichen Tierwohllabel können die Konsumenten zukünftig Produkte erkennen, bei deren Erzeugung höhere als die gesetzlichen Standards eingehalten wurden – und diese Information in ihre Kaufentscheidung einbeziehen“, so das BMEL. Warum nicht gleich die „gesetzlichen Standards“ verbessern? Der Verdacht kommt auf, CSU-Minister Schmidt wolle mit seiner Idee vor allem den bäuerlichen Mittelstand unterstützen, klassische Klientel im kommenden Wahlkampf. Ohne allerdings allzu strikt gegen die mächtige Agrarindustrie vorzugehen, die eigentlich für die Massentierhaltung verantwortlich sind. „Die Vorstellung des Tierwohlsiegels ist dennoch ein positives Zeichen, eine politische Willenserklärung, wohin es in der Landwirtschaft in Zukunft gehen soll“, sagt Jürn Sander vom Fachbereich Betriebswirtschaft des Braunschweiger Thünen-Instituts. „Das reicht aber noch nicht aus, noch ist nicht bekannt, unter welchen Kriterien es genau eingesetzt wird. Da sind noch viele Fragen offen, die zwischen Politik, Landwirtschaft und Verbraucherschutz diskutiert werden müssen.“
Das Tierwohllabel wird sicher kommen, auch wenn grüne Verbraucherschützer darauf hinweisen, dass durch bereits vorhandene Label wie Bio-Siegel, EU-Öko-Siegel oder auch Neuland artgerechte Tierhaltung bereits ausreichend garantiert ist. Für die Verbraucher wird es dadurch nicht einfacher: Neben den oben genannten Labels gibt es ja auch Siegel von Bioland, Demeter oder Naturland sowie anderer Ökoverbände. Was also Bio oder Tierschutz ist, das bestimmt das einzelne Siegel, besser gesagt, bestimmen die jeweiligen Kriterien, die zu seiner Erlangung notwendig sind. Immerhin: Das nationale Biosiegel hat sich seit 2001 in Deutschland durchgesetzt, laut BMEL nutzen es 4.864 Unternehmen auf 76.227 Produkten (Stand Januar 2017) und über 90 Prozent der Verbraucher kennen es. Das europäische Ökosiegel, das seit 2010 auf vielen Biolebensmitteln zu finden ist, gehe da ein wenig unter, wie Kirsten Arp beim Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN e.V.) sagt: „Das europäische Siegel ist leider sehr zurückhaltend gestaltet und nicht sofort zu erkennen, es steht auch nicht „bio“ oder „eco“ drauf. Das ist marketingtechnisch sicher ein Nachteil.“ Das BNN-Monitoring, das Arp leitet, koordiniert für die meisten Biogroßhändler in Deutschland gemeinsame Pestizidanalysen und unterstützt bei der Ursachenrecherche.
Das EU-Ökolabel ist für die deutschen Ökoproduzenten und Händler von Bedeutung, der Warenaustausch innerhalb Europas garantiert guten Absatz, Import und Export daher müssen gut kontrolliert werden. Die sorgfältige Überwachung der Qualität und Herkunft der Lebensmittel ist Grundlage der Biolabel, einmal im Jahr wird jeder teilnehmende Hof in der EU überprüft, regelmäßig auch ohne Vorankündigung. Auch Plausibilitätskontrollen werden unternommen, so Arp: „Man kann zum Beispiel überprüfen, welche Mengen der Landwirt auf den ausgewiesenen Feldern denn ernten kann. Auch im Handel sind Cross Checks wichtig: Welche Mengen an Lebensmitteln gehen vom Bauern zum Zwischenhändler und welche Mengen dann in den Großhandel? An den abweichenden Zahlen kann man Missbrauch leicht erkennen und vermeiden.“ Klar ist, auch im Biolebensmittelbereich sind nicht alle Schafe weiß. Wo viel Geld umgesetzt wird, wachsen auch betrügerische Begehrlichkeiten. Im Jahr 2011 kam beispielsweise heraus, dass einige italienische Lebensmittelfirmen über Jahre mehr als 700.000 Tonnen konventionelle Lebensmittel als Biowaren umdeklariert und in ganz Europa verkauft hatten.
Doch das gut funktionierende Kontrollsystem hat sich im Ganzen bewährt, wie Betriebswirtschaftsexperte Jürn Sanders sagt: „Das zeigt sich gerade dann, wenn Betrügereien bekannt werden. Solche Fälle sind die Ausnahmen, die die Regeln der Kontrolle bestätigen.“ Auch bei den internationalen Handelsabkommen, mögen Ceta oder TTIP nun eines Tages ratifiziert werden oder nicht, gilt: Kontrollen und Produktstandards müssen verbindlich sein. Ein entsprechendes Abkommen über den Biohandel zwischen der EU und den USA, das „Organic Equivalency Agreement“ existiert seit 2012. „In manchen Bereichen sind die amerikanischen Bioregeln sogar strenger als in Deutschland“, sagt Sanders, „zum Beispiel beim absoluten Antibiotikaverbot in der Fleischproduktion.“
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