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Zum Mittagessen ein Glas Saft

Körperbewusstsein Statt all-inclusive im warmen Süden sind Fastenurlaube in der Region immer beliebter. Warum bezahlt man dafür, obwohl man doch fast nichts zu essen bekommt? Zu Besuch in einem Fastenhotel im Harz

Aus Bad Lauterbergandré Zuschlag

Der Mittagstisch im lichtdurchfluteten Saal, an dem Farid Youssef und Beatrix Bode sitzen, ist recht überschaubar gedeckt. Vor ihren Plätzen steht jeweils ein Glas mit rotem Inhalt. „Das müsste Rote Bete sein, oder?“, fragt Bode. Mehr gibt es heute zum Mittag nicht, aber immerhin. Sie und ihr Ehemann Youssef sind seit drei Tagen im „Vitalium Dr. von Plachy“ – zum Fastenurlaub.

Da sie das sogenannte Buchinger-Fasten machen, gibt es wenigstens noch ein wenig Nahrung zum Mittag, wenn auch in flüssiger Form. Sie wohnen mit ihren drei Kindern in Berlin. „Die haben wir bei den Großeltern abgegeben“, sagt die Lehrerin und nippt an ihrem Glas.

Bad Lauterberg, ein staatlich anerkanntes Kneipp-Heilbad mit 11.000 Einwohnern, liegt im Westen des Harzes, knapp 40 Kilometer von Göttingen entfernt. Als das Vitalium vor fast 70 Jahren eröffnet wurde, fungierte es noch als „Sanatorium“. Trotz diverser Renovierungen und kleinerer Umbauten hat sich der Charme der 1950er-Jahre im Inneren erhalten – was auch damit zu tun hat, dass es ein Familienbetrieb geblieben ist. Mittlerweile wird es in dritter Generation von den Schwestern Irene Hönck und Petra Schultheis betrieben, Ärztin die eine, die andere Geschäftsführerin. Aber auch ihre Eltern, beide Ärzte, sind noch täglich für die Gäste da.

Die klassische Kneippkur, dem sich das Haus seit seiner Gründung verschrieben hat, ist heute von immer geringerer Bedeutung. Fastenurlaube dagegen sind im Kommen. „Das sind mittlerweile rund 60 Prozent unserer Gäste“, sagt Schultheis. Ohne die würde es das Haus wohl heute nicht mehr geben. „Das hat uns gerettet“, sagt Schultheis.

Zwischen drei Arten von Fasten können die Gäste im Vitalium auswählen: Fasten nach Buchinger, Fasten nach Mayr und das sogenannte Basenfasten. Bei ersterem gibt es höchstens ein wenig Flüssignahrung, beim Zweiten immerhin ein wenig Brot, und wer das Basenfasten wählt, muss nur auf Fleisch, Getreideprodukte und Zucker verzichten.

Eine Woche Fastenurlaub im Vitalium geht bei 483 Euro pro Person los. Viel Geld, wenn man bedenkt, dass man eben (fast) kein Essen bekommt. Dennoch ist das Kurhotel diese Woche ausgebucht. Auch in den nächsten Wochen sind nur noch ganz wenige Zimmer frei.

48 Betten hat das Haus, angesichts der von den Rentenkassen betriebenen Kurhotels mit jeweils Hunderten Betten im Ort ist das ziemlich wenig. Dafür ist es aber umso familiärer. „Vielen ist es wichtig, dass sie hier persönliche ärztliche Betreuung erwarten können“, sagt Schultheis. Und zu Hause, wo der Alltag ständig ablenke, sei das Durchhalten beim Fasten eben ziemlich schwer.

Schaut man sich im Haus um, läuft da allerdings niemand herum, der sonderlich übergewichtig wirkt. Auch Bode und Youssef geht es nicht in erster Linie ums Abnehmen. Sie fasten das erste Mal wieder nach langer Zeit. „Zuletzt haben wir das mal zu Studienzeiten gemacht“, sagt Youssef. Dem Neurobiologen geht es bei ihrem Aufenthalt vor allem darum, mal aus dem Alltag herauszukommen: „Dort muss man funktionieren, also ist Fasten dann keine Option.“ Hier sei das leichter, sagt er und nippt an dem, was man zumindest hier als Mittagessen bezeichnet. Gerade die Reduzierung auf das Nötigste ist es, was Youssef überzeugt: „Die Sinne nehmen jetzt schon wieder viel mehr wahr, vor allem natürlich geschmacklich.

Derweil kommt Dagmar Koep­sell mit ihrem Rollator an den Tisch und setzt sich vor das dritte Glas mit dem tiefroten Saft. „Heute bin ich wirklich schlapp“, erklärt die ältere Dame ihren Tischnachbarinnen. Aber das sei „nach drei, vier Tagen ganz normal“. Alle paar Jahre kommt sie nach Bad Lauterberg, um durch das Fasten den Körper zu entschlacken. Sie könne das zwar auch zu Hause machen, aber: „Alleine zu fasten, das mache ich heute nicht mehr.“ Hier, mit – je nach Sichtweise – Leidensgenossen oder Gleichgesinnten, sei es dann doch einfacher.

Mit den verschiedenen Fastenmöglichkeiten werden zunehmend auch jüngere Gäste angelockt. Die Berufstätigen, die viel arbeiten, brauchen häufiger mal eine Auszeit, sagt Schultheis. Besonders Ehepaare aus den Großstädten – wie die Lehrerin Bode und ihr Mann Youssef – quartieren sich für ein paar Tage ein. Heilfasten – eine neue Form des Kurzurlaubs, den manche ziemlich nötig haben. „Gerade rief ein junger Mann an und erkundigte sich nach einem Zimmer“, erzählt Schultheiß. Er habe gesagt, er fühle sich Burn-out-gefährdet.

Die Gäste im Vitalium können zwischen drei Fasten-Methoden auswählen

Für das Vitalium sind solche Anrufe nichts Neues: „Früher nannte man das Manager-Krankheit“, sagt Schultheis. Wer die ständige Forderung nach Selbstoptimierung aus dem Berufsleben kennt, wird es kaum verwunderlich finden, dass es nun die Jüngeren sind, die sich statt eines Urlaubs im Süden mit All-inclusive-Hotel für ein paar Tage zum Fasten im Unterharz einquartieren. „Man ist für seinen Körper selbst verantwortlich, das ist die klassische Fastenlehre“, sagt Schultheis.

Draußen, vor dem Vitalium, das in Bad Lauterberg direkt an der Waldböschung über dem Stadtzentrum thront, liegt der Schnee fast 20 Zentimeter hoch. Die schmale Straße, die am Haus vorbeiführt, endet nach wenigen hundert Metern am Wald. Drinnen sitzen am Vormittag einige der Gäste noch im Speisesaal und lesen Zeitung oder in einem Buch. Andere haben Jogginganzüge an und gehen durch die Gänge des alten Hauses rüber zur kleinen Sporthalle, andere die Treppen hinunter zur Physiotherapie. Gelangweilt wirkt hier niemand, gestresst aber auch nicht. „Es gibt ja viele Angebote hier im Haus, aber man ist halt nicht verpflichtet“, sagt Youssef.

Dabei soll sich hier aber niemand einfach nur ausruhen. Klar, einen Wellness-Bereich gibt es im Haus auch. „Natürlich haben wir das. Aber nur so viel, wie unbedingt nötig“, erklärt Schultheis. Es soll kein reines Wellness-Hotel sein, indem der medizinische Nutzen fragwürdig ist. Der Anspruch ist, dass sich die Gäste nicht nur passiv verwöhnen lassen sollen, sondern aktiv sind. Das gefällt auch Farid Youssef : „Man kann sich auf das Wesentliche konzentrieren und wird nicht mit unendlichen vielen Angeboten abgelenkt.“

Letztlich geht es wohl den meisten vor allem darum, einfach mal ein paar Tage dem Alltag zu entfliehen. Der Werbepros­pekt, der für Interessierte am Hauseingang zum Mitnehmen bereit liegt, verspricht ihnen Fasten und Entschlacken ohne zu hungern. Tatsächlich hält sich der Hunger bei den Fastengästen in Grenzen. „Es ist eher Appetit, aber das geht schon“, sagt Bode, als das Glas mit dem tiefroten Inhalt schon fast leer ist. „Das fühlt sich zur Abwechslung auch mal sehr schön an“, sagt ihr Ehemann.

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