Kritik bleibt unerwünscht

Psychiatrie Um gegen Missstände im psychiatrischen System Bremens vorzugehen, fordern Betroffene nun eine unabhängige Beschwerdestelle. Der Senat verweist auf eine andere Institution, die längst ausgelastet ist

Die Missstände im psychiatrischen System Bremens sind groß. Und immer, so scheint es, sind die, an die man sich eigentlich wenden müsste, bis über beide Ohren verstrickt in das Problem

von Jan-Paul Koopmann

Zwangsmedikation, ÄrztInnen, die sich tagelang nicht blicken lassen, Gewalt durch das Pflegepersonal: Es gibt Missstände im psychiatrischen System Bremens innerhalb der Kliniken. Aber auch draußen, wo Hilfsbedürftige keine Therapieplätze bekommen oder sich zwischen Zuständigkeitsstreitereien konkurrierender Kostenträger aufreiben. Und immer, so scheint es, sind die, an die man sich eigentlich wenden müsste, bis über beide Ohren verstrickt in das Problem.

Darum versuchen Bremer Psychiatrieerfahrene schon seit Jahren, eine unabhängige Beschwerdestelle ins Leben zu rufen. Nach Berliner Vorbild, wo es so eine Einrichtung bereits seit 2011 gibt, sollen dort BeraterInnen mit Insidererfahrung helfen, wenn es Probleme gibt. Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, wie es funktioniert, in einer Krise oder als Angehöriger die Ruhe zu bewahren. Denn Klinik- und Behördenbürokratie oder drängende ArbeitgeberInnen können in einer akuten Krise lebensbedrohlich werden.

Das Konzept für diese unabhängige Beschwerdestelle steht schon lange. AktivistInnen haben bereits die Einrichtungen in Berlin besucht und deren Modell an die örtlichen Bedingungen in Bremen angepasst. Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) haben sie beraten. Allein: Das Geld fehlt. Die Aktion Mensch würde sich zwar an den Kosten beteiligen, sagt Gerlinde Tobias vom Arbeitskreis – doch 120.000 Euro für die ersten drei Jahre müssten anderswo herkommen.

Und so viel ist sicher: Vom Bremer Gesundheitsressort unter Senatorin Eva Quante-Brandt (SPD) kommt es nicht. Dort hat man trotz Haushaltsnotlage Ende vergangenen Jahres zwar gerade 1,2 Millionen Euro für insgesamt 13 verschiedene Modellprojekte locker gemacht, aber eben nicht für die Beschwerdestelle. Weil Sie politisch nicht gewollt ist, vermuten viele der InitiatorInnen.

Einige AktivistInnen um den Psychiatrieerfahrenen Jürgen Karwath haben darum eine Petition an die Bremische Bürgerschaft eingereicht. Der Landtag, so die Hoffnung, soll die Einrichtung der Beschwerdestelle nun gesetzlich vorschreiben, wenn es denn anders nicht geht.

Die einen versprechen sich von der Beschwerdestelle ein Druckmittel gegen übermächtig scheinende Kliniken und Gerichte – andere sehen darin vor allem auch eine Chance für die Träger. „Nur aus ehrlicher Kritik kann man etwas lernen“, sagt etwa Kirsten Kappert-Gonther aus der Grünen-Bürgerschaftsfraktion – „auch wenn das manchmal weh tut“. Auch bei der CDU seien sie mit ihrer Petition auf offene Ohren gestoßen, erzählen die AktivistInnen.

Im ersten Anlauf ist der Vorstoß dennoch gescheitert: Das Gesundheitsressort hat vor dem Petitionsausschuss gesagt, die Beschwerdestelle sei nicht nötig, da die PsychiatriepatientInnen doch längst einen Ansprechpartner hätten – die Besuchskommission nämlich.

Tatsächlich unternimmt diese Kontrollinstanz, an der neben Abgeordneten, MedizinerInnen und RichterInnen auch Psychiatrieerfahrene beteiligt sind, nicht nur unangekündigte Besuche auf Stationen, sondern steht auch als Ansprechpartner für Beschwerden zur Verfügung.

Auch der taz liegen diverse Beschwerden vor, die an die Besuchskommission gerichtet wurden. Eindringliche Briefe von Angehörigen etwa, denen der Kontakt zu ihren in der Forensik inhaftierten Verwandten verweigert wurde. Oder Briefe von Menschen, die beklagen, als reine Strafmaßnahme für Nichtigkeiten tagelang ins Beobachtungszimmer der Forensik gesperrt worden zu sein – ohne Dusche, Zahnbürste und Kontakt zu den Mitgefangenen.

Die Antworten der Kommission sind standardisierte Schreiben. Drei bis neun Monate nach der Beschwerde erhalten die PatientInnen eine Stellungnahme der Klinik und den Hinweis, sich beim nächsten Mal zunächst an die Klinikleitung zu wenden.

Darüber hinaus sei gar nichts passiert, sagen die BeschwerdeführerInnen einhellig. Manche sagen, sie hätten sich aus Angst vor Sanktionen nie wieder beschwert. Aus der Besuchskommission heißt es wiederum, gerade die zwischenmenschlichen Spannungen zwischen Pflegekräften und PatientInnen seien oft schwer zu erfassen. Auch jenes standardisierte Schreiben, über das sich insbesondere PatientInnen und ihre UnterstützerInnen aus der „Psychiatriekritischen Gruppe“ beklagen, soll demnächst offenbar geändert werden.

Verfügungsgewalt hat die Besuchskommission aber ohnehin nicht. Ihre Berichte ans Parlament attestieren einzelnen Stationen Jahr für Jahr einen kaum veränderten miserablen Zustand. Immerhin, sie halten in Bremen eine unangenehme Debatte in Gang, wie sie anderswo oft hinter verschlossenen Türen oder gar nicht geführt wird.

Die AktivistInnen für die Beschwerdestelle werben weiter für ihr Anliegen und wollen nun Widerspruch gegen die Absage des Petitionsausschusses einlegen. Ein paar Tage haben sie noch, bis die Frist abläuft, und diese Tage wollen sie nutzen, um für ihr Projekt zu werben.

Unterstützung bekommen sie aber auch von der Besuchskommission und anderen Institutionen, die sich ebenso auch als KonkurrentInnen sehen könnten: Detlef Tintelott etwa ist Patientenfürsprecher am Klinikum Bremen-Ost. „Die Mitglieder der Besuchskommission haben alle noch andere Berufe“, sagt er. Schon darum sei es dieser Institution oft gar nicht möglich, den Beschwerden mit dem nötigen Nachdruck nachzugehen.

Und Tintelott weiß, wovon er spricht: Rund 100 Beschwerden sind er und seine Stellvertretung im vergangenen Jahr nachgegangen – ehrenamtlich. Darunter waren auch zwangsweise Verabreichung von Medikamenten und tagelange Fixierungen. Sein Bericht sorgte in Bremen kürzlich für einige Unruhe: Auch die Gesundheitssenatorin hat mit ihm gesprochen und sich sehr interessiert gezeigt, heißt es.

Doch selbst wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nun auch langfristig etwas bringen sollte: PatientenfürsprecherInnen sind für die psychiatrischen Stationen je einer Klinik zuständig. Was aber in den anderen Häusern, bei den ambulanten Trägern, niedergelassenen Ärzten, im Umgang mit den Krankenkassen oder bei Menschen in anderen Therapieformen vor sich geht – darauf haben weder FürsprecherInnen noch die Besuchskommission irgendeinen Einfluss.