: Klartext im Präsidentenpalast
Türkei Beim Treffen mit Erdoğan spart Kanzlerin Merkel nicht mit Kritik
Begleitet von Kritik in Deutschland und schweren Vorwürfen türkischer Politiker im Vorfeld hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag einen „Arbeitsbesuch“ in der Türkei absolviert. Dieses Mal blieb ihr die Imitation eines Thronsessels, den sie beim letzten Besuch bei Präsident Recep Tayyip Erdoğan besteigen musste, erspart. Zwar fand das Treffen in Erdoğans pompösem Präsidentenpalast statt, doch die Sitzgelegenheiten waren moderat.
Stattdessen ging es inhaltlich zur Sache. Eigentlich sollten die wichtigsten politischen Fragen mit Premier Binali Yıldırım besprochen werden und bei Erdoğan war lediglich ein Höflichkeitsbesuch geplant. Doch es kam anders. Mehr als zweieinhalb Stunden dauerte das Treffen. Am Ende gab es eine gemeinsame Pressekonferenz, die ebenfalls nicht vorgesehen war.
Sowohl Merkel als auch Erdoğan machten bei ihrem gemeinsamen Auftritt den Eindruck, als habe sich das Treffen für beide gelohnt. Beide konnten ihre jeweiligen Positionen loswerden und am Ende drohte Erdoğan nicht mehr damit, das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU aufzukündigen, sondern sprach wie Merkel von einer engeren Kooperation.
Dafür hatte Merkel zuvor eine engere Zusammenarbeit in der Terrorbekämpfung versprochen, nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen die PKK. Was die von der Türkei geforderten Auslieferungen von PKKlern, angeblichen Gülen-Terroristen und der türkischen Soldaten, die in Deutschland Asyl beantragt hatten, anging, verwies Merkel auf die Gerichte. Die Türkei solle Material für ihre Anschuldigungen liefern, die Gerichte würde das dann unabhängig bewerten. Erdoğans Vorwürfe, die EU würde ihre Verpflichtungen im Rahmen des Flüchtlingsabkommens nicht einhalten, konterte sie mit Zahlen. Von den versprochenen 3 Milliarden Euro seien 750.000 Millionen geflossen, 2,2 Milliarden fest verplant. Auch der Rest könne jederzeit kommen. Merkel sprach von einer ersten Tranche und deutete an, das auch eine zweite möglich sei.
Anschließend brachte sie auch ihre Kritikpunkte an den Mann. Pressefreiheit, parlamentarische und außerparlamentarische Opposition seien unverzichtbare Elemente einer Demokratie. Erdoğan solle aufpassen, bei der Aufarbeitung des Putsches die Mittel zu wahren. Für das angestrebte Präsidialsystem mahnte sie die Aufrechterhaltung der Gewaltenteilung an, was Erdoğan gar nicht verstehen konnte, weil das klar gewährleistet sei. Ob er bei dem Referendum Beobachter der OSZE akzeptieren wird, wie von Merkel angeregt, blieb offen.
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