: Betrügen wie in Bremerhaven
Vorbild Vor dem Untersuchungsausschuss zum Sozialbetrug sagte eine Teamleiterin, Jobcenter seien für organisierten Betrug weiter anfällig
Pia A., Teamleiterin Jobcenter Bremerhaven
Der Sozialbetrug in Bremerhaven könnte eine Blaupause für organisierten Betrug auch anderswo sein. Mitarbeiter des Jobcenters Bremerhaven geben mittlerweile Workshops für andere Ämter, die ähnliche Probleme haben, aber „noch nicht gemerkt haben, dass sie betrogen werden“, wie die Jobcenter-Teamleiterin Pia A. am Mittwoch vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss der bremischen Bürgerschaft aussagte – „wir als Behörde sind absolut betrügbar. Eigentlich könnte das jeder machen.“
A. verwies darauf, dass organisierter Sozialbetrug an anderen Orten weitergehe: „Wir haben ein gigantisches strukturelles Problem.“ In Bremerhaven sei „organisiertes kriminelles Handeln aufgedeckt“ worden, „das deutschlandweit Schwachstellen aufzeigt“.
Die Bundesagentur für Arbeit sei durch den Skandal regelrecht schockiert gewesen, das Vertrauen in Dokumente nachhaltig erschüttert. Inzwischen sind ähnliche Fälle aus Duisburg, Osnabrück, Dortmund und Offenbach bekannt.
In Bremerhaven geht die Staatsanwaltschaft Bremen von einer Schadenssumme von 6,3 Millionen Euro aus, sie ermittelt wegen Verdachts auf Mithilfe zum Sozialbetrug gegen den Bürgerschaftsabgeordneten Patrick Öztürk, sowie dessen Vater, Bruder und einen Dolmetscher. Sie sollen mit Hilfe von vermeintlich gemeinnützigen Vereinen massenhaft BulgarInnen, GriechInnen und RumänInnen ausgenutzt haben, um rechtswidrig Sozialleistungen zu beziehen.
So sei es der Dolmetscher Remzi C. gewesen, der BulgarInnen zu Jobcenter-Terminen begleitete und vorgab, zu übersetzen und zu helfen. Der Dolmetscher habe dabei kaum mit den Betroffenen geredet, ihnen den Mund verboten. „C. wollte möglichst viele Leute schnell durchschleusen“, sagte Pia A., „wir hatten nicht das Gefühl, dass er ein Vertrauter war“.
Irgendwann wird C. in Gesprächen laut, nennt MitarbeiterInnen des Jobcenters „rassistisch“ und sagt, dass sich Vermittler wie „kleine Hitler aufführten“. Türkischsprachige Jobcenter-MitarbeiterInnen bekommen zum Teil mit, dass er falsch übersetzt. Eine andere Leistungsbezieherin bekommt im Warteraum mit, dass der „Dolmetscher“ Geld für seine Dienste verlangt. Das daraufhin gegen den Dolmetscher verhängte Hausverbot kassiert das Verwaltungsgericht. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Bremen gegen ihn und die Öztürks.
Mittlerweile sind nur noch vereinzelte Betroffene in Bremerhaven. Ob sie die etwa 1.200 Betroffenen für schuldig halte? A. sagt: „Ich halte sie für unschuldig, aber nicht für unwissend.“ Gareth Joswig
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