: Gülen ist nicht an allem schuld
Prozess Seit dem Putschversuch von 2016 werden „Gülenisten“ verdächtigt, hinter dem Mord an Hrant Dink zu stehen
Neun Tage danach wurde Dink vor dem Gebäude seiner Zeitung Agos ermordet. Wie sich später herausstellte, war der Mord mit Kenntnis von Geheimdienstlern und Gendarmen im Kreis Pelitli, Trabzon, geplant worden. Nach dem Mord wurde aufgedeckt, dass die Beamten sich mehrerer Unterlassungen schuldig gemacht hatten.
Der Weg zum Mord wurde geebnet, als Dink wegen eines Berichts über die armenische Herkunft von Sabiha Gökçen (der Adoptivtochter Atatürks und einer der ersten Pilotinnen der Türkei, Anm. d. Red.) angezeigt wurde. Deswegen wurde er vorgeladen. Wie er später in einem Artikel für die Tageszeitung Radikal schrieb, sagte der Stellvertreter des Gouverneurs zu ihm: „Sollten Sie nicht vorsichtiger sein bei Ihren Berichten?“ Das beweist, dass Dink unmittelbar von Staatsbeamten bedroht wurde. Später stellte sich heraus, dass bei dem Gespräch der Geheimdienstmitarbeiter Özel Yılmaz anwesend war. Trotz starker Belege wurde er nicht einmal als Zeuge gehört, weil der Staatsanwalt das Verfahren einstellte.
Obwohl Journalisten und Juristen unermüdlich darum kämpften, konnten die für den Mord mitverantwortlichen Beamten lange nicht vernommen werden. Erst als der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Ermittlungen 2010 als ineffektiv verurteilte, wurde der Weg für Untersuchungen frei. Die „Immunität“ der damals mitverantwortlichen Geheimdienstler, die der Gülen-Bewegung angehören sollen, fiel aber erst im Zuge des Bruchs zwischen AKP und Gülen-Bewegung 2013. Auch die Gendarmen in Trabzon, die von den Mordplänen gewusst haben sollen, wurden erst nach dem Putschversuch 2016 verhaftet. Auch ihnen wird Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung vorgeworfen.
Die Gülenisten, die vor dem Zerwürfnis mit der AKP die Sicherheitsbehörden und Justiz unterwandert hatten, wollten den Mord dem „Ergenekon-Verfahren“ angliedern, das sich damals vor allem gegen Oppositionelle richtete. Dabei wurden Regierungsgegner bezichtigt, Mitglied einer illegalen Organisation zu sein und einen Putsch vorzubereiten. In diesem großen Sack sollte auch der Mord an Hrant Dink versinken.
Auf ähnliche Weise ging die Regierung dann, nach dem Bruch mit der Gülen-Bewegung, gegen eben diese vor. Nun warf sie Personen, die eine andere politische Meinung als die Regierung vertraten, vor, Anhänger von Fethullah Gülen zu sein. Dieser Sack war um einiges größer als der bei den Prozessen, die die Gülenisten zuvor geführt hatten. So wurde etwa der Journalist Ahmet Şık – der zuvor aufgrund des Vorwurfs eingesperrt war, Ergenekon-Mitglied zu sein – erneut inhaftiert; nur hieß es diesmal, er betreibe Propaganda für die Gülen-Bewegung.
Heute stehen wir an einem Punkt, wo der Eindruck erweckt werden soll, für den Dink-Mord seien ausschließlich Gülen-Leute verantwortlich. Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Unter den Verantwortlichen für den Mord befinden sich tatsächlich Gülen-Anhänger – aber sie waren nicht allein. Es gibt weitere Staatsbeamte, die nichts mit der Bewegung zu tun haben, aber den Mord zuließen. Sie taten trotz ihrer Verpflichtung, Dinks Leben zu schützen, nichts.
Unmittelbar nach dem Mord an Hrant Dink vor zehn Jahren sagte Erdoğan in seiner damaligen Position als Premierminister: „Kein Verbrechen wird in den dunklen Korridoren von Ankara untergehen.“ Doch auch an seinem zehnten Jahrestag ist der Dink-Mord noch nicht aus „den dunklen Korridoren von Ankara“ gehoben.
Canan Coşkun
Aus dem Türkischen
von Sabine Adatepe
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