Soziologe über elitäre Bildung: „Bremens Kontrolle ist ein Witz“

Laut einer Studie duldet der Bremer Senat, dass Privatschulen sich sozial abschotten. Marcel Helbig erklärt, warum das gefährlich ist.

Privatschulen sind für Leute, die sich besonders fühlen: Hogwarts in Orlando Foto: Kevin Kolczynski (Universal Orlando /dpa)

taz: Ihrer Studie „Das missachtete Verfassungsgebot“ zufolge dulden alle Bundesländer die soziale Spaltung zwischen privaten und öffentlichen Schulen. Gibt es die tatsächlich?

Marcel Helbig: Die wenigen, zitierfähigen Daten zu dieser Frage zeigen, dass die soziale Spreizung zwischen privaten und öffentlichen Schulen in den letzten Jahren zugenommen hat.

In Bremen schicken viele PolitikerInnen ihre Kinder auf eine Privatschule. Haben sie eine Vorbildfunktion?

Jeder wählt die aus seiner Sicht beste Schule. Ob solche Fragen da eine Rolle spielen, ist jedoch der falsche – weil populistische – Ansatz, das Thema zu diskutieren.

Neuer Versuch: Wozu braucht es Privatschulen?

Ursprünglich wurden sie im Grundgesetz verankert, um es reformpädagogischen und kirchlichen Schulen zu ermöglichen, auch alternative Bildungswege zum öffentlichen Schulsystem zu gehen. Heute gibt es viele verschiedene Privatschulen.

Sind die SchülerInnen an Privatschulen besser?

Die repräsentativen Studien zu diesem Thema zeigen, dass diese Schüler bei Pisa-Tests tatsächlich besser abschneiden. Wenn aber für die Herkunft statistisch kontrolliert wird, gibt es zwischen öffentlichen und privaten Schulen keinen Unterschied.

Woran liegt das?

Privatschüler profitieren von einer besseren sozialen Zusammensetzung. Dieses Markenzeichen entzieht den öffentlichen Schulen aber eben diese Schüler aus reichem Elternhause. Hätten öffentliche Schulen die gleiche soziale Zusammensetzung wie Privatschulen, dann hätten ihre Schüler auch die gleichen Kompetenzen. Führt man den Gedanken weiter, schwächen Privatschulen die Bildungschancen an öffentlichen Schulen.

Warum schicken immer mehr Eltern ihre Kinder auf eine Privatschule?

36, ist Professor für „Bildung und soziale Ungleichheit“ an der Universität Erfurt.

Seit dem Pisa-Schock denken viele Eltern, dass das öffentliche Schulsystem nicht allzu leistungsfähig ist. Außerdem gibt es in Städten eine starke soziale Spaltung. Gerade in Szenevierteln wie St. Pauli oder Kreuzberg, die „in“, aber auch arm sind, wollen Besserverdienende ihr Kind nicht auf eine öffentliche Schule schicken. Die Privatschule wird dann gewählt, um nicht wegziehen zu müssen.

Sie bezeichnen Bremen als Stadt mit sozialem „Sprengstoff“. Wie meinen Sie das?

Privatschulen werden auch gewählt, um sich vom sozial schwierigen Klientel abzusetzen. In Bremen gibt es besonders viele Kinder aus Familien, die Hartz IV beziehen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch sehr viele Akademikereltern. Und die haben das größte Interesse daran, ihre Kinder abzuschotten. So wird das bestehende Problem noch verschärft.

Um das zu verhindern, erhebt die Bildungsbehörde jährlich die Schulgelder, allerdings nur Mindest- und Höchstbetrag.

Was Bremen da macht, ist hinsichtlich der Einhaltung des sogenannten Sonderungsverbots ein Witz. Damit kann das Verbot überhaupt nicht kontrolliert werden. Offen bleibt, wie viele Kinder welches Schulgeld zahlen müssen. Das durchschnittliche Schulgeld ist unbekannt. Und Vergleichszahlen zur sozialen Zusammensetzung öffentlicher Schulen fehlen ebenfalls.

In Bremen gilt die Formulierung des Grundgesetzes.

Dabei sollte der Senat in Landesgesetzen festhalten, wie er dieses Verbot einhalten will. Alles andere ermöglicht willkürliche Entscheidungen. Wichtig ist, die soziale Zusammensetzung der Schüler in privaten und öffentlichen Schulen zu erheben und zu kontrollieren. Diese Daten erhebt leider kaum ein Bundesland, genutzt werden sie in keinem.

Die Bremer CDU sagt, dass Stipendien der sozialen Segregation entgegenwirken.

Das ist totaler Quatsch und pure Ideologie. Eltern, die Hartz IV beziehen, interessieren sich nicht für kostenpflichtige Privatschulen, für die sie vielleicht ein Stipendium erhielten. Sie wissen nicht, dass es Stipendien gibt. Bei der CDU ist damit auch immer der Leistungsgedanke verbunden. Das steht aber nicht im Einklang mit dem Sonderungsverbot.

Die Stipendien werden in Bremen statistisch nicht erfasst.

In Bremen wird nichts erfasst, was das Sonderungsverbot betrifft. Die Erfassung von Stipendien wäre auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn ich die soziale Zusammensetzung meiner Schüler nicht kenne, ist auch egal, ob ich Stipendien erhebe oder nicht.

Die ehemalige Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper genehmigte nur wenige Privatschulen. War das richtig?

Es geht nicht darum, Privatschulen zu verteufeln, sondern sie zu kontrollieren. Würde die Bildungsbehörde dem nachkommen, wären einige Privatschulen unter Umständen von der Schließung bedroht.

Dieser Kurs führte zu weniger öffentlichen Zuweisungen an Privatschulen. Stärkt das die Segregation?

Vielleicht ist das auch eine Masche: Wenn das Land Privatschulen weniger zahlt, spart es Geld. Als Reaktion erhöhen Schulen die Gebühren für Eltern. Das geht aber nur, wenn das Sonderungsverbot nicht kontrolliert wird.

Setzen Länder auf soziale Segregation, um Geld zu sparen?

Das ist meine Vermutung, die Ihnen aber kein Bildungspolitiker so bestätigen wird.

In Hamburg gab es 2015 eine Anfrage der Linken zum Sonderungsverbot.

Zehn Privatschulen waren anschließend von der Schließung bedroht. Eine solche Anfrage muss in allen Bundesländern gestellt werden.

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