: Und Muttchen schmiert Leberwurststullen
Kinder- Und Jugendtheater Am Atze Musiktheater ermitteln „Emil und die Detektive“ in einer pädagogisch ambitionierten Neuproduktion, die auch schöne Momente hat
von Katharina Granzin
Es gibt einen wirklich tollen Moment in dieser Inszenierung, als nämlich gegen Ende das kindliche Publikum beginnt, sich aktiv gegen den Bösewicht zu wenden. Es sind geschulte kleine Statistinnen und Statisten der Klasse 5a aus der Grundschule am Tempelhofer Feld, die da aus dem Saal heraus überraschend als Chor agieren. Dann entern sie gemeinschaftlich die Bühne, um den DarstellerInnen zu helfen, den Dieb zur Strecke zu bringen. Eine schöne Idee.
Es gibt auch noch andere schöne Ideen, und wer sich zum einen nicht daran stört, wenn ihm permanent mit dem pädagogisch erhobenen Zeigefinger vor der Nase herumgefuchtelt wird, und wer zum anderen vielleicht sogar die Geschichte gar nicht kennt, der fühlt sich vielleicht gut unterhalten. Keine Ahnung.
Wem aber, wie fast allen mittelerwachsenen Personen dieses Landes, die Geschichte von Emil und den Detektiven vertraut ist, der merkt natürlich gleich, welche Details Atze-Theaterleiter Thomas Sutter, der für die Regie verantwortlich zeichnet, zum Wohle der Erziehung der Jugend im richtigen Geiste verändert hat. Das ist im Prinzip natürlich erlaubt; denn bei allen literarischen Verdiensten des hochwohlmögenden Erich Kästner können einem manche Dinge in seinen Kinderbüchern aus heutiger Sicht enorm auf den Geist gehen, darunter an erster Stelle die vorgestrige Gendereinstellung.
Deshalb hat Sutter, richtig so, etliche Mitglieder von Emils Detektivbande als Mädchen definiert (bei Kästner gibt es nur Emils Kusine Pony Hütchen, die den Jungs immer Proviant für ihre wichtige Detektivarbeit bringt. Oder so). Allerdings hat er vergessen, aus Erichs – Verzeihung: Emils – überbesorgtem, Leberwurststullen schmierenden Muttchen eine normale Frau zu machen. Gustav mit der Hupe wiederum wird von dem dunkelhäutigen Schauspieler Aciel Martinez Pól gespielt. Das ist prima und würde überhaupt nicht auffallen, wenn nicht auch noch mit dem „Professor“, dem schlauen Köpfchen der Jugendbande, eine taubstumme Figur eingeführt würde, an der sehr extensiv gezeigt wird, was es bedeutet, nicht sprechen zu können. (Das macht Mathieu Pelletier gut. Aber soo sehr hätte sein leichter französischer Akzent, wäre der Professor eine Sprechrolle geblieben, nun auch nicht gestört.)
Das bekommt insgesamt einen so betont inklusiven Charakter, dass man sich unwillkürlich fragt, ob es für dieses Konzept wohl irgendwelche Extrafördergelder gegeben hat. Ist alles total gut gemeint und so, klar; und durch die zahlreichen Gebärden-Choreographien schafft man es tatsächlich, sich zwei oder drei Gebärden langfristiger zu merken, also hat die Rezensentin immerhin was gelernt an diesem Nachmittag.
Aber schöner wäre es gewesen, Sutter hätte sich die Gebärdenidee für ein anderes Stück aufgehoben – oder überhaupt ein ganz neues Stück dazu gemacht, statt eine irgendwann einmal spannend gewesene Detektivgeschichte künstlich dadurch zu verzögern, dass auf der Bühne permanent Übersetzungsleistungen absolviert werden müssen. Denn Emil, der von außen in die Kindergruppe kommt, kann natürlich noch keine Gebärdensprache.
Auch die Frage, ob die Kinder eigentlich moralisch berechtigt sind, den Dieb, der Emil beklaut hat, ihrerseits zu beklauen, ist durchaus relevant und interessant, hätte aber sicher handlungsimmanent unauffälliger erörtert werden können. Warum muss hier unbedingt die Hintergrundfigur eines Richters, des Vaters eines Bandenmitglieds, als moralische Instanz eingeführt werden? „Mensch, was würde mein Papa dazu sagen?“ sagt Mittenzwei. Oder war es Mittendrei? Egal; aber wäre es denn nicht möglich, dass den Kindern ganz von allein, ohne Angst vor patriarchalen Sanktionen, solche Bedenken kommen? (Und selbst wenn man Kindern nicht zutraut, die Rechtfertigung ihres eigenen Handelns zu hinterfragen: Welchen Beruf hat eigentlich Mittendreis Mutter? Die ist wahrscheinlich keine Richterin?)
Aber fast schlimmer noch, als ständig den patriarchal-pädagogischen Finger gezeigt zu bekommen, ist es, wenn man sich im Theater langweilt. Die Handlung zieht sich, vor allem ist es kein bisschen lustig. Wie schade und auch eigenartig; denn den Kästner hatte man doch eigentlich als recht humorvoll in Erinnerung. So freut man sich über jede Musikeinlage – vor allem deshalb, weil hierbei die Komponistin Sinem Altan mitgezaubert und Thomas Sutters Lieder mit hübschen Instrumentalarrangements veredelt hat. Ach, und doch, einen anderen tollen Moment gibt es auch noch. Als nämlich der Bühnenschurke sagt: „Hab ich etwa eine Clownsnase auf der Nase?“, da gackert ein kleines Kind im Publikum so lustig los, dass wir alle einfach mitlachen müssen. Nach über zwei Stunden ist man recht bescheiden geworden in seinem Unterhaltungsanspruch.
Nächste Vorstellungen: Do. 12. 1. 10.30 Uhr, Sa. 14. 1. 16Uhr
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