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Susanne Memarnia findet Unisex-Toiletten gar nicht so unwichtigWas Realität ist, bestimmt der Stammtisch

Da fühlen sich einige ja wieder schön bestärkt in ihrem Weltbild: tzzztzzztzz, diese Grünen mit ihrem Minderheitentick! Ganz Deutschland redet über die Notwendigkeit von mehr Videoüberwachung in Zeiten von Terror, U-Bahn-Schubsern und „Nafris“ – und der grüne Justizsenator hat nichts Besseres zu tun, als Unisex-Toiletten in Behörden zu planen! Als erste Amtshandlung!! „Behrendts dringende Geschäfte“, höhnt der Tagesspiegel.

Ist man ein Schelm, wenn man gleich an das schlimme Verdikt „weltfremd“ denkt, das ARD-Korrespondentin Tina Hassel dieser Tage der Grünen-Chefin verpasst hat, weil sie den Kölner Polizeieinsatz an Silvester kritiisch hinterfragt? Wenn man sich fremdschämt, weil Spiegel-Online-Kolumnist Jan Fleischhauer lamentiert, dem neuen Senat sei der Schutz von Grundrechten, ja sogar die Kastration von frei laufenden Katzen wichtiger als die Sicherheit der eigenen Bürger?

Zumal es bei der Unisex-Debatte ist wie so oft: Nicht mal die Fakten stimmen. Der nun belächelte 4. Zwischenbericht ist gar nicht die erste Drucksache, die Behrendt ans ­Abgeordnetenhaus geschickt hat, wie fälschlich behauptet wurde. Diese Ehre gebührt zwei Drucksachen zur Stärkung der Initiative „für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“. Ein politisches Statement à la „Unisex ist mir das Allerwichtigste“, kann Behrendt also nicht unterstellt werden.

Wobei auch das nicht das allerdümmste wäre. Schließlich sollte es eine günstige und leicht zu realisierende Sache sein, Behörden mit „Toiletten für alle“ auszustatten. Ein schneller Erfolg, der niemandem wehtut – und sicher bleibt noch Kapazität für anderes. Eher fragt man sich, wieso es dafür vier Zwischenberichte braucht.

Einen Hinweis darauf, dass Behrendt prinzipiell richtig liegt, zeigt auch die Reaktion der AfD: Die kann mit der „grundsätzlichen Unsinnigkeit des Genderismus“ natürlich nichts anfangen und faselt was von „völligem Realitätsverlust“. Was Realität respektive weltfremd ist, bestimmt eben immer noch der Stammtisch.

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