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Mit Kaninchenzüchtern gegen die Konzernmacht

Arbeitskampf Im fränkischen Lichtenfels streikt die Lokalredaktion. Sie fordert mehr Geld und Wertschätzung vom Mutterverlag

aus Lichtenfels Patrick Guyton

Mit einem weißen Hasen auf dem Arm setzt sich Egon Haselmann, 63 Jahre alt, auf das Sofa. Rammler Rudi sei anfangs etwas schüchtern gewesen. Die Zeitung in Lichtenfels aber hat Rudi sogar zum Osterhasen gemacht. „Schön, dass mein Hobby so wertgeschätzt wird“, sagt er in weichem Fränkisch. „Darum stehe ich zum Team vom Obermain-Tagblatt – ihr seid echte Wertschätzer.“

Fast alle Journalisten und Verlagsangestellten der oberfränkischen Lokalzeitung sind im Streik. Sie wollen einen Haustarifvertrag mit mehr Geld, nachdem ihr Gehalt seit neun Jahren nicht mehr erhöht worden ist. Zehn Redakteure und eine Handvoll Angestellte sind im Ausstand. Vom Arbeitgeber kam laut Angaben der Gewerkschaften Verdi und BJV (Bayerischer Journalistenverband) nur ein Angebot, das „nicht verhandelbar“ sei.

Streikposten aufstellen, Transparente tragen, vielleicht eine kleine Kundgebung – das reicht den Zeitungsmachern nicht, die sich „die Wertschätzer“ nennen. Sie machen in Lichtenfels einen Arbeitskampf, wie es derzeit keinen zweiten in der Republik gibt. Den gesamten Landkreis wollen sie ansprechen, aufrütteln und auf ihre Seite ziehen – die Leser, die Lokalpolitiker, Vereine wie die Kaninchenzüchter mit ihrem Rammler Rudi. „Wir sind eine Lokalzeitung, die zu den Menschen hier steht“, sagt der Redakteur Till Mayer, 44 Jahre, seit 22 Jahren bei dem Blatt. „Und wir sehen, dass die Menschen jetzt zu uns stehen.“

Facebook, Internet, Flyer sowie Besuche bei Bürgern, Vereinen und Lokalpolitikern sind ihre Waffen. Sie klappern alle ab, lassen sie alle sprechen. Die Homepage ist voll mit Solidaritätsadressen, Fotos und Videoclips. Als Kostümierung haben sich die Tagblatt-Mitarbeiter für Asterix-Figuren entschieden. Das mag nicht sehr originell sein, aber es ist griffig in dieser ländlichen Gegend im Norden Bayerns. Die aufständischen kleinen Gallier, die den übermächtigen Römern trotzen – das Bild kommt rüber.

Besuch beim Gesang- und Musikverein im Teilort Mistelfeld. Die Jugendmusiker versammeln sich im Übungsraum, umgeben von Wimpeln, Urkunden und Vereins-Bierkrügen. „Ich lese mein Tagblatt schon gerne“, sagt Dirigent Karl Heinz Kerner. „Das Verhältnis ist super.“ Auf der Webseite der Streikenden äußern sich weitere lokale Größen: Bauchtanzlehrerin Karin Landzettel sagt: „Wertschätzung macht Spaß.“ Der Kabarettist Mäc Härder stellt als „König von Franken“ fest, umgeben von seiner „Gespielin“: „Mein Schreibervolk in Lichtenfels blutet aus.“ Er trinkt aus einem goldenen Pokal: „Auf das Obermain-Tagblatt, auf den Haustarif 2017.“ Nächstes Jahr wird die Zeitung 160 Jahre alt. Derzeit hat sie eine Auflage von knapp 10.800 Exemplaren.

Verlust der Pressevielfalt

Tatsächlich ist die Lage im Tarifkonflikt trostlos, obwohl das Blatt nach Angaben der Mitarbeiter Gewinne macht. Wie in einem Brennglas spielt sich in Lichtenfels ab, was derzeit die ganze Zeitungsbranche kennzeichnet: Stellenabbau, Umstrukturierungen, Aufkäufe, immer mehr Konzentration auf wenige große Verlage, was zu einem Verlust an Pressevielfalt führt. Vor vier Jahren kaufte die Mediengruppe Main-Post in Würzburg das bis dahin selbstständige OT. Diese wiederum war schon vor sechs Jahren von der Mediengruppe Pressedruck übernommen worden, mit ihrem Flaggschiff Augsburger Allgemeine. Zum Konzern gehört auch der Konstanzer Südkurier. Über das OT entscheiden nun ein Geschäftsführer und ein Personalchef in Würzburg.

In Lichtenfels spielt sich ab, was die ganze Zeitungsbranche kennzeichnet

Dort gibt man sich zugeknöpft. Auf Anfrage der taz teilt der Personalchef Walter Schmitz schriftlich mit: „Unsere Belegschaft hat selbstverständlich das Recht, für Veränderungen ihrer Arbeitsbedingungen zu streiken.“ Allerdings sei man der Auffassung, „dass ein Arbeitskampf nicht auf dem Rücken unserer Kunden und der Öffentlichkeit ausgetragen werden sollte“. Auf konkrete Fragen geht Schmitz nicht ein.

Den Verlag wird schmerzen, zu sehen, wer sich alles auf die Seite der Streikenden stellt: viele Sportler, der Forstdirektor, der Bund Naturschutz, eine lokale Brauerei, der katholische Stadtpfarrer, der Landrat, etliche Bürgermeister, die SPD-Landtagsabgeordnete Susann Biedefeld ebenso wie ihre CSU-Bundestagskollegin Emmi Zeulner.

Wenn die OT-Mitarbeiter zusammensitzen, kann jeder seine berufliche Leidensgeschichte erzählen. 56 waren sie noch vor einigen Jahren, inklusive der Belegschaft der 2012 stillgelegten Druckerei. Jetzt sind sie noch 23. Da ist Redakteur Markus Drossel, der vor drei Wochen Vater geworden ist. Er beantragte bei der Personalabteilung zwei Tage Sonderurlaub, die früher im Haus stets gewährt wurden – der Antrag wurde abgelehnt. „Das nimmt man persönlich“, sagt er. Da waren die beiden Verlagsmitarbeiterinnen, die ihre Arbeitszeiten gerne getauscht hätten: die eine von 50 auf 100 Prozent, die andere das Gegenteil. Der Verlag stimmt nicht zu.

In Lichtenfels krachen Macht und Struktur eines Medienkonzerns auf die kleine Welt der Lokalzeitung. Da ist der Redakteur Frank Gorille, seit 32 Jahren zuständig für den Lokalsport, im Kreis nennt man ihn eine „absolute Institution“. Ihm wurde mitgeteilt, dass die Sportberichterstattung künftig vom Konkurrenten Fränkischer Tag aus Bamberg übernommen wird. Die freien Mitarbeiter werden nicht mehr gebraucht. Gorille sagt: „Wir erfahren von allen Seiten Wertschätzung, nur von einer nicht.“ Im Blatt selbst wird man nichts von oder über die Streikenden lesen. Die Texte des Lokalteils kommen diese Woche weitgehend vom Fränkischen Tag.

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