: Ideales Role Model
Kunst Exakt hundert Jahre nach ihrer ersten Ausstellung in New York ist im Kunstforum Wien eine 85 Werke umfassende Schau von Georgia O’Keeffe zu sehen
von Annegret Erhard
Ein idealeres Role Model lässt sich nicht finden. Dabei war Georgia O’Keeffe alles andere als angepasst oder gar vorbildlich, wie es dem Amerikaner ihrer Zeit hätte gefallen können. Sie steht jedoch für die modernistische amerikanische Kunst, für die Position der Frau als Künstlerin, für Freiheit und Mut, nicht zuletzt für Erfolg.
1986 starb sie im Alter von 98 Jahren und repräsentiert beinahe ein ganzes Jahrhundert. Jedenfalls ist sie die wohl am meisten fotografierte Künstlerin dieses Jahrhunderts. Der Fotograf, New Yorker Avantgarde-Galerist (291, Fifth Ave.) und Verleger (Camera Work) Alfred Stieglitz, ihr weit älterer Mann, hat sie vor allem in den ersten Jahren ihrer später kompliziert werdenden Liebesbeziehung wie besessen fotografiert. Sie war Muse und Geschöpf und er ihr einflussreicher, wohlhabender Mentor. Die zwanziger Jahre wurden für beide zum Siegeszug.
Frühe Begeisterung
Im Kunstforum Wien ist exakt hundert Jahre nach ihrer ersten Ausstellung in New York eine 85 Werke umfassende Schau zu sehen, die zuvor in der Tate Modern Furore gemacht hat. Und da sind sie dann auch alle, die sattsam bekannten Motive mit den ausgebleichten Tierschädeln, die zusammen mit ein paar freundlich-kleinen Blumen über den dürren Brachen New Mexicos schweben. Da sind die großen Blüten, die ihr Herz, ihr Innerstes, eingebettet in schwelgerisch gewölbte, blutrote oder schneeweiße Blütenblätter, wie in einer Nahaufnahme darbieten.
Diese ikonischen Werke der rasch bekannt gewordenen Künstlerin wurden begeistert rezipiert, wenn auch ihrer Meinung nach ziemlich falsch interpretiert. Die Knochen und Skelette, die Schädel mit den mächtigen Geweihen waren absolut nicht als Memento Mori zu verstehen, sie feierten ganz im Gegenteil das Leben, die Natur, das lebendige Kommen und Gehen. Die Blumenbilder wiederum waren eine Reaktion auf die unerfreuliche Deutung ihrer frühen Abstraktionen, die, vom zeittypischen Hang zum Orphismus geprägt, eine symbolistische Innerlichkeit verströmten. Deren fließend organische Formensprache wurde von den naturgemäß männlichen Kritikern entsprechend überwältigt als endlich fälliges Wagnis einer Künstlerin beschrieben, die sich malerisch ihrer Sexualität stellte. Freud war in den zwanziger Jahren die Entdeckung und Küchenpsychologie jedermanns Zeitvertreib. Die Künstlerin verweigerte sich dieser Zuordnung, doch Stieglitz gab ihr wieder und wieder Zunder. So landeten auch die fotorealistischen Blumenbilder in dieser Falle.
Nachdem sich die fast ruhelos reisende O’Keeffe in New Mexico niedergelassen hatte, fernab vom New Yorker Getriebe, widmete sie sich fast ausschließlich dieser weiten, von dramatisch aufragenden Bergzügen durchbrochenen Landschaft, dem mächtigen Tafelberg vor ihrem Atelierfenster, den Gott ihr, wie sie einmal sagte, eines Tages schenken würde, wenn sie ihn nur oft genug male.
Von jeher war ihr Anliegen die Überführung der amerikanischen Landschaft, des Naturerlebens in die Abstraktion. Diese genuin amerikanischen Solitäre sollten den Fokus von der Dominanz europäischer Ismen auf das Potenzial der im besten Wortsinn nationalen Schaffenskraft samt dazugehörigen motivischen Eigenheiten lenken. Gleichzeitig lotete sie die Grenzen der minimalistischen Hard-Edge-Malerei aus, suchte nach einem malerischen Weg das Bild hinter dem Bild, den Raum hinter der Tür aufscheinen zu lassen. Buchstäblich. Wieder und wieder. Der Patio mit der rätselhaften Tür in ihrem Haus in Abiquiú war ihr in späten Jahren beständige Herausforderung. Diese Bilder sind es, die die Ausstellung wichtig und besonders machen.
Sie werden begleitet von Aufnahmen von Stieglitz, die erkennen lassen, wie sehr sich das Paar motivisch und formal beeinflusst hat. Aufschlussreich sind auch die Fotografien Edward Westons, der sich ähnlich wie O’Keeffe immer wieder den organisch uneindeutigen, dabei sehr explizit ausgeleuchteten Formen von Paprika, Aubergine etc. zugewandt hat. Am schönsten jedoch die Naturaufnahmen und Porträts von Paul Strand, dem Freund, und die gleichsam als Natursymphonie zu deutenden Fotografien, die Ansel Adams in New Mexico, in der Seelenlandschaft von Georgia O’Keeffe gemacht hat.
Vielen wird sich eine neue Seite der Künstlerin auftun, fernab der Kalenderbilder, Postkarten und Plakate. Wer will, kann sich an den sexualisierten Motiven delektieren und darüber nachdenken, ob O’Keeffe, die einerseits sehr geschäftstüchtig war, andererseits unnahbar und streng mit sich und anderen, tatsächlich, wie sie sagte, niemals an die weibliche Physiognomie gedacht hat, wenn sie einen dramatisch geöffneten Schlund in die Mitte einer aufreizend reifen Blüte setzte oder eine enge, steil ansteigende Schlucht zwischen sanft sich aufbäumenden Berghängen. Und jeder kann darüber rätseln, ob beziehungsweise weshalb die weiße Stechpalmenblüte im Zentrum der Ausstellung 44 Millionen Dollar wert ist, womit Georgia O’Keeffe Rekordhalterin unter den weiblichen Künstlern ist. Erworben hat das Gemälde übrigens eine Woolworth-Erbin und es umgehend dem Crystal Bridges Museum of American Art in Bentonville, Arkansas, gestiftet. Mutig und unangepasst. Im Whitney raufte man sich derweil die Haare.
Bis 26. März, Kunstforum Wien, Katalog (Prestel Verlag) 32 Euro
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