Syrien Evakuierung der Bewohner Ost-Aleppos wieder gestoppt. Hilfsorganisationen müssen abziehen: Zivilisten ohne Schutz
Die Situation der verbleibenden Zivilisten im Rebellengebiet von Ost-Aleppo wird immer dramatischer. Syriens Regierung stoppte am Freitag die Evakuierung der Rebellengebiete nur einen Tag nach deren Beginn. Syriens staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, der Abzug sei gestoppt worden, nachdem „terroristische Gruppen“ auf Busse und Autos geschossen hätten.
Das oppositionelle Lokale Koordinierungskomitee erklärte hingegen, regimetreue Milizen hätten das Feuer auf die Busse eröffnet. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kehrten Busse mit Hunderten von Menschen wieder nach Ost-Aleppo zurück. Ein Sprecher der Rebellengruppe Nur al-Din al-Sinki sagte, regierungstreue Kräfte hätten den Konvoi beschossen und 25 Privatwagen beschlagnahmt, die den Menschen gehörten, die Aleppo verließen. Die Rebellenarmee FSA (Freie Syrische Armee) erklärte auf Twitter, iranische Milizen hätten Busse gestoppt, den Passagieren ihre Habseligkeiten abgenommen und die Busse dann wieder zurückgeschickt. Auch das syrische Staatsfernsehen meldete, mehr als 40 Busse und Autos seien auf dem Rückweg.
Ein syrischer Regierungsvertreter bestätigte, dass die Evakuierung nicht beendet sei. „Die Maßnahme wurde angehalten, bevor sie abgeschlossen war“, sagte er. Russland als Verbündeter der syrischen Regierung erklärte hingegen den Transport von Kämpfern und deren Familien aus Ost-Aleppo für beendet. Alle Frauen und Kinder aus den von der Opposition kontrollierten Vierteln hätten Ost-Aleppo verlassen, so das Verteidigungsministerium in Moskau. „Zurück bleiben Gruppen radikaler und unversöhnlicher Militanter, die auf syrische Truppen feuern.“ Das Militär rücke in diesen Vierteln vor.
Oppositionelle äußerten die Befürchtung, das russische und das syrische Militär wollten nunmehr alle in Ost-Aleppo verbliebenen Menschen als militärische Ziele behandeln. Aktivisten erklärten, Zehntausende Zivilisten warteten noch darauf, herausgebracht zu werden. „Als ich ging, waren dort Tausende Familien mit Frauen und Kindern“, berichtete ein Aktivist, der Ost-Aleppo bereits verlassen hatte.
Nach UN-Schätzungen waren noch 50.000 Menschen in Ost-Aleppo eingeschlossen; 8.500 sollen bislang evakuiert worden sein, davon 6.000 seit Donnerstag. Den Zurückgebliebenen fehlen Trinkwasser, Nahrung und medizinische Versorgung. Die Menschen leiden auch unter dem kalten Winterwetter.
Aktivist aus Ost-Aleppo Russlands Verteidigungsministerium
Hilfsorganisationen mussten Ost-Aleppo nach dem Evakuierungsstopp verlassen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Rote Kreuz und der Rote Halbmond wurden nach Angaben der WHO angewiesen, Busse und Krankenwagen aus dem Evakuierungsgebiet abzuziehen. „Ich nehme an, die Nachricht kam von den Russen, die die Gegend überwachen“, sagte die Syrienbeauftragte der WHO, Elizabeth Hoff. Kontakt mit der syrischen Regierung gebe es nicht.
Auf Antrag Frankreichs sollte noch am Freitag der UN-Sicherheitsrat in New York zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. (dpa, rtr, ap, epd, taz)
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