Das Fotoprojekt #SichSelbstBestimmen
: Die Deutungsmacht behalten

Christoph Foto: Steven Solbrig

Man könnte denken, es geht voran. „Inklusion“ – ein Wort der Stunde. Viel wird es benutzt, wenn es um Menschen mit Behinderung geht. Sie sollen teilhaben – auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine echte Chance bekommen, eine Altersvorsorge ansparen dürfen. So soll es vorangehen, so entstand ein Entwurf des neuen Teilhabegesetzes, über den der Bundestag jüngst beraten hat und der in jetziger Form nicht nur von Behindertenverbänden stark kritisiert wird. Wann und wo beginnt Inklusion?

Das Fotoprojekt #SichSelbstBestimmen kreist um diese Frage und setzt bei einer vermeintlich einfachen Antwort an: bei der freien Wahl.

Der hannoversche Fotograf und Kulturwissenschaftler Steven Solbrig hat Menschen mit körperlicher, geistiger und psychischer Behinderung getroffen. In Wolfsburg, Bramsche, Göttingen, Kassel, Berlin und Hannover. Mit rund zwanzig Teilnehmenden hat er schon gearbeitet, es sollen bundesweit deutlich mehr werden. Für sie sieht sich der Initiator des Projekts als Dienstleister. Entstanden ist eine besondere Form des Selbstporträts. Bei der Fotografie geht es auch um die Führung des Blicks. Wer zeigt wen? Und auf welche Art? Wer fotografiert, hat Deutungsmacht.

Solbrig überlässt den Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, möglichst viel davon. Sie bestimmen, wie sie gesehen werden wollen: Ort, Kleidung, Licht, Ausdruck. Magaret im Hochzeitskleid, sie reckt die Arme in die Luft, der Rock weit wie eine Glocke. Arne im Blaumann, sein Blick strotzt vor Darstellungslust. Wenn möglich, drücken die Porträtierten auch auf den Selbstauslöser.

Den Shootings gehen intensive Gespräche voran. Nicht alle Ideen sind eins zu eins umsetzbar. Auch die Rolle des Dienstleisters verändert sich bei jedem Mal ein wenig. Beim fertigen Bild geht es um Augenhöhe-Kommunikation zwischen Modell und Betrachtendem – die vielleicht durch den Filter der Kunst leichter wird.

Eine große, mit den Teilnehmenden gestaltete Präsentation der Fotos ist geplant, soll aber nicht der Endpunkt der Arbeit sein. „Für eine Bewegung der Bilder“, untertitelt Solbrig das Fotoprojekt.

Dahinter steht der Wunsch, dass diese Bewegung in einem inklusiven Zentrum ihr Zuhause findet, in dem Menschen mit und ohne Behinderung bildende und darstellende Kunst machen, Austausch ermöglichen und Selbstbestimmung fördern. Stephanie Drees