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Unser Schtetl heißt Neukölln

MusikVier Tage lang widmete sich das Festival „Shtetl Neukölln“ dem jiddischen Gesang

Zur Geräuschkulisse Neuköllns gehören Arabisch und Türkisch genauso wie Englisch, Deutsch oder auch Hebräisch. Am vergangenen Wochenende ist deutlich geworden, dass eine weitere Sprache dort ihr Zuhause gefunden hat, die man nicht ohne Weiteres in Neukölln vermuten würde: Jiddisch.

„Shtetl Neukölln“ heißt das Festival, das vom vergangenen Donnerstag bis Sonntag in der Werkstatt der Kulturen und im Ballhaus Rixdorf stattgefunden hat.

„Das jiddische Wort Schtetl bedeutet ‚kleine Stadt‘, aber wir verstehen es in diesem Zusammenhang in erster Linie als ‚Community‘. Unsere Community ist eben in Neukölln zu Hause“, erklärt die in Riga geborene Sängerin Sasha Lurje. Hampus Melin, ein Schlagzeuger aus Schweden, ergänzt: „Entstanden ist die Idee dieses Festivals aus den Klezmersessions heraus“, sagt er und legt ein Kabel zurecht: „Seit drei Jahren treffen wir uns regelmäßig im Oblomov und jammen.“ Dort, im Hinterzimmer der Neuköllner Kneipe, kann es wild werden, wenn bis zu zwanzig Musikerinnen und Musiker auf der Bühne stehen.

„Ich habe magische Momente bei den Sessions erlebt, und mir ist wichtig, diese pulsierende Kreativität zu unterstützen“, sagt Till Schumann, Vorsitzender des noch jungen Vereins Tanase und Gebirtig, benannt nach der rumänischen Sängerin Maria Tanase und dem jüdisch-polnischen Komponisten und Dichter Mordechai Gebirtig. Schumann ist über die Zusammenarbeit mit den Musikerinnen in seinem Label Oriente Musik auf die Klezmersessions gestoßen und beschloss, gemeinsam mit den beteiligten Künstlern ein Festival zu organisieren.

Gäste sind Performer

An vier sehr gut besuchten Tagen voller Konzerte, Workshops und offener Sessions lösten sich mitunter die Grenzen zwischen Publikum und Bühne auf. Die Teilnehmerinnen der Workshops waren nicht selten auch Gäste der Klezmer-Sessions, die vielleicht bei der nächsten Session selber mitspielten.

Das Revival jiddischer Musik ist nicht das erste nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin. In den achtziger Jahren formierte sich etwa in der DDR ein loser Kreis deutscher Musikerinnen und Musiker um jiddische Musik. Zu ihnen gehört der Interpret und Sänger Karsten Troyke, der mit dem Duo Khupe das Eröffnungskonzert des Festivals gab.

Neu ist die unschlagbare Internationalität der jüngeren Generation der Berliner Klezmer-Musiker, die unter anderem aus Russland, Schweden, USA, Aus­tralien kommen. Vielleicht sorgt dieser Umstand auch für die Experimentierfreudigkeit bei der Interpretation von jiddischen Liedern und beim Songwriting. Sasha Lurje spielt und singt unter anderem bei Forshspil, einer psychedelischen Rockband.

Auch die Musik des in Detroit aufgewachsenen Daniel Kahn hat wenig mit der Begrenztheit eines Schtetls zu tun: „Görlitzer Park“ oder „March of the Jobless Corps“ heißen seine Stücke, in denen er Jiddisch, Deutsch und Englisch mischt und sich verschiedener Genres bedient, von Klezmer über Punk hin zu Balkan. Für ihn ist die jiddische Kultur etwas Gegenwärtiges: „Sie hat wichtige Dinge erlebt, die uns gerade heute viel zu sagen haben.“

Der selbstverständliche Gebrauch des Jiddischen ist erstaunlich, sind doch die wenigsten dieser jungen Musikerinnen mit Jiddisch aufgewachsen, sondern haben die Sprache erst später erlernt. Einige schlagen damit eine Brücke zur jiddischsprachigen Großelterngeneration. Kahn möchte die jiddische Kultur aber nicht auf den Bruch und die Zerstörung durch den Holocaust reduziert wissen: „Irgendwie hat alles, was alle irgendwo machen, mit dem dunklen Kapitel des Holocaust zu tun. Aber mit einer Reduktion auf diesen historischen Bezugspunkt macht man es sich sehr leicht damit, die Schönheit und den Reichtum der jiddischen Kultur zu ignorieren.“ Am kommenden Samstag finden die Klezmersessions zum 44. Mal statt. Es ist das dreijährige Jubiläum. Judith Poppe

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