Kolumne Liebeserklärung: Preisträgerin Patti Smith
Sie ist eine Ikone, hochpolitisch und kraftvoll. Niemand könnte Bob Dylan bei der Nobelpreisverleihung besser vertreten.
S tellvertreterin sein ist eigentlich ihre Sache nicht. Patti Smith ist eine Frontfrau – bei ihr ergibt diese Bezeichnung wirklich Sinn. Denn das Bühnendasein hat bei der New Yorker Punkikone oft mit Auflehnung zu tun. Erst recht im fortgeschrittenen Alter: Als die 69-Jährige zuletzt auf Europatour „People Have The Power“ sang, schwang diese Power in ihrer Stimme mit. Frisch und gut!
Am Samstag tritt sie bei der Verleihung des Literaturnobelpreises stellvertretend für Bob Dylan auf. Der so geniale wie stoische Preisträger reist wegen „anderer Verpflichtungen“ nicht nach Stockholm. Smith soll sein „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“ singen, gemeinsam mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra.
Patti Smith ist die beste Stellvertreterin. Sie steht für Geradlinigkeit. Vor den US-Wahlen hat sie die Verrohung der amerikanischen Demokratie beklagt, den Wahlkampf als unwürdig bezeichnet. Sie ist eine Kämpferin für Liberalismus und Humanität; aber auch eine, die weiß, was die Leute hören wollen.
Als jemand aus dem Publikum bei einem Polittalk vor der Wahl „Patti for President“ schrie, sagte sie: „Ich würde eher die Böden in öffentlichen Schulen wischen, denn als Präsidentin zu kandidieren.“
Alexander Gauland galt als kluger Konservativer, mit dem Linke gern debattierten. Nun dirigiert er die AfD immer weiter nach rechts – und will so in den Bundestag. Warum er sich so entwickelt hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Dezember 2016. Außerdem: In der deutschen Hackerszene tobt ein Kampf um Sex, Moral und Macht. Ein Netz-Krimi. Und: Eine Begegnung mit der marokkanisch-französischen Autorin Saphia Azzeddine. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
In Stockholm wird sie auch all seine Fans vertreten; jene, die in seinen Songs einen ganzen Lebensentwurf sehen. Smith selbst wurde stark von Dylan geprägt. Sie vertritt zudem die 60er Counterculture, deren Verdienste mit dem Nobelpreis auch gewürdigt werden. Eine Frau, zumal eine, die Geschlechtergrenzen mit Leatherboots und Anzug locker überschreitet, ist genau die richtige.
Ästhetisch gibt es gravierende Unterschiede zwischen Smith und Dylan – diese näher an der engagierten Kunst, jener Verfechter der künstlerischen Autonomie. Auf die von Dylan eingereichte Rede, die ein Komiteemitglied verlesen soll, darf man gespannt sein. Patti Smith aber ist für die Akademie ein Glücksfall. Die Frau mit dem fransigen Haaren wird sicher so gut singen wie der Mann mit dem Zylinder – und vielleicht sogar weise Worte zur Weltlage finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos