OSZE-Gipfel in Hamburg Weiträumige Absperrungen im Zentrum, überall Blaulicht und bewaffnete Polizisten: Was machen solche Treffen wie die soeben zu Ende gegangene Außenministerkonferenz mit einer Stadt? Und sind sie überhaupt sinnvoll? ▶Schwerpunkt SEITE 43–45: Stadt im Ausnahmezustand
von Sven-Michael Veit
Das also war’s. Und war das etwa schon alles? Und vor allem: War’s das wert? Was den soeben verflossenen OSZE-Gipfel in Hamburg angeht, lautet die Antwort: nein. Und was den am Horizont dräuenden G20-Gipfel im Juli nächsten Jahres ebenfalls in der Hansestadt angeht, lautet die Antwort: auch nicht. Gipfeltreffen dieser Art haben sich überlebt, ihrer Funktionen wurden sie weitgehend beraubt. Durch die normative Kraft des Faktischen, und die kündet derzeit vom Sieg der Machtpolitik, vom Sieg der Hassprediger aller Schattierungen – vom IS über Putin und Le Pen bis Trump – und von der Defensive der Vernünftigen. Gerade deshalb ist der Dialog zwar notwendig, aber nicht so.
Reden ohne Ergebnisse kommt in den besten Beziehungen vor, vor allem aber in schlechten, und das 50-teilige Beziehungsgeflecht, das Hamburg gerade heimgesucht hat, zählt zu den schlechtestmöglichen. Niemand neidet der Außenministerin von Liechtenstein (!) ein verlängertes Wochenende zwischen Hamburger Rathaus und Elbphilharmonie, der Nutzen für die Welt oder wenigstens Europa indes ist so überschaubar wie ihr heimatliches Alpental.
Drei Lehren gilt es deshalb zu ziehen. Erstens ist miteinander reden weiterhin besser als schießen, was dieser Kontinent im Übrigen weit mehr als 2000 Jahre lang bevorzugte. Reden ist selbst dann notwendig, wenn gleichzeitig geschossen wird wie in der aktuellen Situation, aber es darf nicht zum Selbstzweck verkommen. Die Konferenzsäle der UN in New York gähnen außerhalb der Vollversammlungen vor Leere: Trefft euch dort, und wenn Ihr Resultate zu verkünden habt, macht eine Pressekonferenz. Ansonsten behelligt den Rest der Welt nicht unnötig mit eurer pompösen Anwesenheit.
Denn, zweitens, der Nutzen von OSZE-Treffen an wechselnden Orten der Alten Welt rechtfertigt den Aufwand nicht und schon gar nicht die gesellschaftlichen Schäden. Mehr als 100 Millionen Euro wird der Hamburger Gipfel den Bund und die Stadt kosten – konsumtiv, nicht investiv. Denn das Geld wurde schlicht aus dem Fenster geworfen. Sachwerte bleiben nicht zurück.
Auf jeden Minister passten rechnerisch 200 Polizisten und Sicherheitsleute auf – von so einem Betreuungsschlüssel können Schulen und Kitas nicht mal träumen. Dazu kommt ein Polizeistaat, der zwar temporär und regional begrenzt ist, bürgerliche Freiheitsrechte aber gleichwohl zunächst tangiert hat (OSZE) und demnächst (G20) mit großer Sicherheit rasieren wird.
Schlussendlich sind die Probleme der Globalisierung weder auf europäischer Ebene noch in den Hinterzimmern der 20 mächtigsten Wirtschaftsnationen zu lösen. Der erdumspannende Austausch von Waren und Dienstleistungen ist seit Marco Polo und Kolumbus nicht mehr aufzuhalten, bestenfalls ist er noch zu gestalten. Solange das aber unter dem Interessenvorbehalt der großen Öl- und Gasförderstaaten sowie multinational operierender Konzerne und Heuschrecken geschieht, ist ein gutes Ende nicht in Sicht.
Reden ja, verhandeln sicher, aber ergebnisorientiert. Niemand glaubt doch, dass auf solchen Monstertreffen der Ukrainekonflikt gelöst oder das menschliche Antlitz von Erdogan erblickt werden kann, niemand glaubt, der Brexit ließe sich rückgängig machen oder Trump würde plötzlich dem Protektionismus abschwören – der im Übrigen die radikalste Ablehnung der Globalisierung ist, was alle kurz zum Nachdenken bringen sollte, die im Juli in Hamburg gegen G20, Trump und TTIP zu protestieren beabsichtigen.
Ansätze zu seriöser Politik werden zerrieben zwischen Wirtschaftsinteressen, Machtansprüchen, Fundamentalismus und dem ungeheuren sozialen Druck der Kriegs- und Armutsflüchtlinge aus dem Süden: Ideen dringend gesucht, denn die bisherigen taugen nicht. Nur das hat Hamburg bewiesen.
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