: „Sie leben am Rande des Prekariats“
Verteidigung Der Katholik Matthias Matussek nimmt die Priester in Schutz: Sie seien besser als ihr Ruf
62, Journalist und Autor, war Kulturchef des Spiegel. Seinen Gemeindepfarrer hat er in der Novelle „Die Apokalypse nach Richard“ porträtiert.
taz: Herr Matussek, bekommt Ihr Gemeindepfarrer von Ihnen auch Briefumschläge zugesteckt?
Matthias Matussek: Ich gestehe, ich war mal kurz davor, als ich gesehen habe, wie dürftig er eingerichtet ist, so Kiefernmöbel aus den 50er-Jahren, Sperrmüll, jeder Student lebt anspruchsvoller. Das war übrigens auch mein Eindruck, als ich Fotos von der päpstlichen Wohnung von Papst Benedikt gesehen habe. Unser Pastor, der jetzt leider im Ruhestand ist, hat die Gemeinde an die 40 Jahre lang mit bewundernswürdiger Bescheidenheit und Selbstaufopferung geleitet. Der einzige Schmuck in seiner Wohnung war ein Kreuz, ein paar billige Ikonen. Er hat Alte betreut und getauft und gefirmt und getraut, hat getröstet und Sterbesakramente gegeben und gepredigt ohne allen Firlefanz. Er war sehr durchgeistigt.
Haben Sie Ihre Kirchensteuer immer gern bezahlt? Über 25 Jahre beim Spiegel, da muss doch einiges nach Rom geflossen sein.
Die Kirchensteuer ist ein Skandal. Den Empfang von Sakramenten an Zahlungen zu binden, ist – wir sind im Lutherjahr! – eine Art Ablass. Dass Neugeborene nur gegen Vorkasse getauft werden, Eheleute nur mit dieser Zwangssteuer getraut werden oder Alte nur dann ihre Sterbesakramente empfangen können, ist von einer sagenhaften Peinlichkeit. Die Kirchen sind so reich wie nie, aber die Reparatur unseres Kirchendachs haben wir aus eigenen Spenden bestritten. Was machen die mit dem Geld? Progressive Kirchentage veranstalten? Aktionstage gegen die AfD?
Hätte, was unserem Pastor aus Braunschweig passiert ist, auch einem katholischen Pfarrer passieren können?
Soweit ich die Geschichte kenne, ist sie ihm ja nicht einfach „passiert“. Ob es bei uns unehrliche Pastoren gib? Sicher, und es gab im Zusammenhang mit den Missbrauchsskandalen auch Verbrecher anderer Art. Aber ich kenne keinen einzigen.
Fehlt unseren heiligen Männern die Distanz zum Volke?
Unsere Priester sind die einzigen, Gott sei dank, die keine Distanz zum Volk haben, weil sie jederzeit ansprechbar sein wollen. Die meisten leben arm und zölibatär und bisweilen sehr vereinsamt am Rande des Prekariats und opfern sich auf und kümmern sich um die Seelen im Großstadtdschungel – Michel Houellebecq nennt sie, in seinem Roman „Karte und Gebiet“, mit Recht: Helden.
Interview: Alexander Wallasch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen