: Mythos „Briesener Zootzen“
Ausstellung Die GAK zeigt Werke des Hamburger Künstlers Till Krause. Er vermisst die Achse Kiel–Hamburg neu und verzaubert damit die Entzauberung des Raumes
von Gareth Joswig
Till Krause muss Romantiker sein. Denn seine derzeitige Ausstellung im GAK mit dem kryptischen Titel „Briesener Zootzen“ reibt sich an der wissenschaftlichen Vermessung des Raumes. Seine Werke hinterfragen die vermeintliche Objektivität von Karten und bilden zugleich die eigenwillige Unbeherrschbarkeit von Räumen ab.
Gegenstände seiner Kunstwerke sind riesige Karten aus Papier und die 86 Kilometer Luftlinie, die zwischen Hamburg und Kiel liegen. Eigentlich befindet sich dort nichts Besonderes: Felder, Wälder, Ortschaften und Seen – Schleswig-Holstein eben. Fährt man mit dem Finger über die Landkarte, hat man dank Landvermessung einen detaillierten und wissenschaftlichen Blick darauf, was dort ist. Das funktioniert fast überall auf der ganzen Welt. LandvermesserInnen und KartografInnen haben der Wildnis dieselbe ausgetrieben. Es gibt kaum Orte, an denen noch kein Mensch einen Fuß gesetzt hat, keinen Raum, der nicht nach rationalen Kriterien erschlossen ist. Und erst recht nicht in Schleswig-Holstein zwischen Hamburg und Kiel. Das dort liegende Land ist entzaubert, die Erschließung abgeschlossen. Nicht jedoch für Till Krause. Für ihn ist Kartenmaterial nur eine Interpretation. Sie legt nur Objektivität nahe, kann sie jedoch niemals erreichen. Krause sagt: „Karten leben davon, was nicht in ihnen stimmt.“ Also: Was ist das eigentlich, Raum? Und welche Rolle spielen Menschen darin?
Diesen Fragen ist Krause vor Ort nachgegangen. Auf der Landkarte hat er einen geraden Strich gezogen – von Kiel bis zu seinem Atelier in Hamburg. Luftlinie. Den so entstandenen Streifen ging er auf einer Breite von drei Metern ab. Querfeld- und querhausein. Um die dazwischen liegenden Orte nach den eigenen Maßstäben zu vermessen und neu einzuzeichnen. Auf Karten, die gar nicht erst versuchen, objektiv zu sein.
Eine Karte zeigt etwa alle Hindernisse, die zwischen Hamburg und Kiel liegen: Mauern, Häuser, private Gärten, Zäune, der Flughafen Fuhlsbüttel, Seen, Militärgelände. Krause hat alle Hindernisse gezählt und versucht, sie trotzdem zu überwinden: Durch Seen und Flüsse schwamm er, Zäune und Mauern überkletterte er.
Schwierig wurde es bei Häusern. Sie zu durchqueren, war nicht immer möglich. Jeden Raum oder Abschnitt, den er nicht begehen konnte, hat er auf einer der ausgestellten Karten mit Bleistift markiert. Es sind vereinzelte Punkte und kleine Abschnitte. Angesichts der langen Strecke im Maßstab 1:25.000 ist es verwunderlich, wie wenige es schließlich geworden sind.
Krause versuchte, die verbotenen Zonen trotzdem zu durchqueren, um herauszufinden, was eigentlich passiert, wenn man die Hemmungen und Akzeptanz von Räumen bricht. Seine Antwort: Man gelangt durch die vorgegebene Behinderung der Bewegungsformen wieder bei behinderten Bewegungsformen. Wer einfach querfeldein geradeaus geht, bewegt sich komplett anders. Angefangen beim Reisetempo: Nur etwa fünf Kilometer hat der Künstler pro Tag geschafft.
Immerhin: Anzeigen wegen Hausfriedensbruch hat Krause keine bekommen. Dafür allerdings wäre er beinahe ums Leben gekommen. Nachdem er ein Maisfeld durchquerte, warteten auf der anderen Seite drei Jäger mit Gewehren im Anschlag. Sie hofften, endlich das Wildschwein zu erwischen, das sie seit drei Wochen jagten. Das war für Krause ein interessanter Nebeneffekt seiner Arbeit: „Die Jäger haben sich erst aufgeregt und waren wütend, dann aber haben wir uns eine Stunde lang über Raum unterhalten.“
Wenn die Besucher der Ausstellung nicht während einer der Künstlerführungen da sind, bleiben für sie Episoden wie diese verborgen. Und das ist auch gut so: Sie sind allein mit den Karten und können sich selbst vorstellen, was wohl am Hindernis „militärisches Sicherheitsgebiet“ passiert sein mag. Die Karten stehen für sich, in den Worten Krauses: „Die Zeichnungen sind eigene Dinge. Was der Künstler gemeint oder erlebt hat, ist egal.“ So zieht jeder das aus den Karten, was er subjektiv dort sieht.
Eine zeigt, wie schlecht der Handyempfang an welcher Stelle der schleswig-holsteinischen Pampa wirklich ist. Für eine andere hat Krause subjektiv und schätzungsbasiert gemessen, wie weit der Horizont entlang der Achse Kiel–Hamburg ist. Dafür hat der Künstler das Sichtfeld, das sich ihm auf dem Weg darbot, auf einer herkömmlich gedruckten Landkarte rot markiert.
Die Karten sind trotz ihrer Schlichtheit multidimensional. In ihnen sind nicht nur die vom Künstler subjektiv wahrgenommenen Orte verzeichnet, sie lassen Raum für Interpretationen. Blickt man etwa auf die rot markierte freie Fläche zwischen Norderstedt und Henstedt-Ulzburg, entstehen unweigerlich andere Bilder im Kopf: Man sieht vor dem inneren Auge, wie ein Waldrand den freien Blick am Feldrand blockiert. Das macht die stummen Karten auf weißem Papier zu sprechenden Zeugnissen und Trägern der eigenen Vorstellungskraft und Erinnerungen an Erfahrungen.
Ausgerechnet jene Karte, die am vermeintlich wissenschaftlichsten vorgeht, offenbart schließlich den größten Interpretationsspielraum: Krause hat auf seinem Weg von Kiel nach Hamburg alles gezählt: Bäume, Geräusche, Tiere, Pflanzen. Er hat seine Zählungen durchnummeriert, sie damit also mathematisch erschlossen. 1.669 Dinge hat er gezählt. Sie sind minutiös aufgeführt an der Achse nach Hamburg. Aber was genau da gezählt und durchnummeriert wurde, bleibt völlig ungewiss.
Genau so ist es mit dem Titel der Ausstellung. Dort gibt es gibt keinen Hinweis, was ein „Briesener Zootzen“ wirklich ist. Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein kleiner Ortsabschnitt in Brandenburg. Bei Krause taucht der Name immer wieder auf. Für ihn ist es ein mythischer Ort, der sich in seiner Vieldeutigkeit aufs Allgemeine bezieht. Denn merke: Der „Briesener Zootzen“ ist überall.
„Till Krause: Briesener Zootzen“ ist bis zum 12. Februar in der GAK zu sehen
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