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Lichtmalerei mit der Kamera

Bildkunst Das Schönste und gleichzeitig Schwierigste in der Fotografie ist die Vorstellungskraft. Ein Bild vorm inneren Auge zu sehen, bevor man auf den Auslöser drückt, kann schwer sein. Wie stark muss die Vorstellungskraft dann erst sein, wenn man eine blinde Fotografin ist wie Sonia Soberats?

Sie gehört zu den Menschen, denen man ihre Berufung nicht sofort zutraut. Die gebürtige Venezolanerin Sonia Soberats ist mit 57 Jahren erblindet, kündigte daraufhin ihre Jobs und begann mit der Fotokunst. Seitdem malt sie Fotos, ihr Pinsel ist dabei das Licht.

Sonia Soberats

lebt und arbeitet in New York. Im Alter von 57 Jahren verliert sie ihr Augenlicht und wendet sich danach der visuellen Kunst, insbesondere der Fotografie, zu.

Sonia Soberats ist Mitglied des „Seeing With Photography Collective“ New York. Anfang Januar wird sie in Berlin Fotografie-Workshops für Menschen mit und ohne Behinderung geben.

Eigentlich ist die Methode der Lichtmalerei aus der Mode. Jeder Fotograf und jede Fotografin hatte sicherlich eine Phase, in der er oder sie bei einer langen Belichtungszeit die Taschenlampe, Wunderkerze oder das Handylicht anschaltet und Dinge in die Luft schreibt.

Bei Soberats ist das keine Phase, sie will auch nicht die Belichtungszeit ihrer Kamera lernen. Sie erhebt die Lichtmalerei zu einer eigenen Kunst, die viele Fotografen an der eigenen Vorstellungskraft zweifeln lässt.

Im Team wird am Anfang eines jeden Shootings die Bildidee besprochen. Es werden Skizzen angefertigt, die Location wird ausgesucht. Meistens sind es Theatersäle oder größere Räume, weil einige der Bilder einfach Platz brauchen.

Dann werden die Requisiten und Models platziert. Dabei klettert Sonia Soberats auch selbst mal auf ein Gerüst, um die Höhe abzuschätzen, oder positioniert das Model noch einen Zentimeter weiter nach links. Die Abstände sind für die Orientierung im nächsten Schritt wichtig.

Das Licht wird ausgeschaltet, der Raum ist dunkel und der Auslöser an der Kamera wird gedrückt. Jetzt brennen sich die einzelnen Lichtstrahlen, von Soberats geleitet, auf den Sensor. Sie streift mit unterschiedlichen Lichtquellen über die Models, die Requisiten, bewegt sich im Raum. Sie malt das Bild für die Kamera.

Irgendwann schließt sich der Verschluss der Kamera. Das Bild ist fertig, und das Ergebnis ist eine Lichtersilhouette von Soberats, die mit einem Schwert wie Jean d’Arc kämpft. Es sind geisterhafte Bilder, einige wirken sakral und bedächtig, andere wiederum realistisch abstrakt durch das echte Model und das unechte Licht, was unser Auge nicht erfassen kann.

„Wenn du an eine schöne Landschaft denkst, die du einmal gesehen hast. Kannst du sie sehen, wenn du deine Augen schließt?“, fragt Soberats. Sie kann. Die Künstlerin zeigt dem Betrachter, wie blind man auch bei voller Sehkraft sein kann.Andi Weiland

Sonia Soberatsist eine von drei Fotograf*innen mit Sehbehinderung im Dokumentationsfilm „Shot in the Dark“ von Frank Amann, der ab Januar 2017 in deutschen Kinos zu sehen ist

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