Barbara Dribbusch über Mindestlohn und Lebensstandard: Sprengkraft der Armut
Der 2015 eingeführte Mindestlohn hat sich laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie kaum positiv auf das Armutsrisiko der Beschäftigten in Deutschland ausgewirkt. Die sogenannte Armutsgefährdungsschwelle liegt zurzeit für einen Alleinstehenden rein statistisch bei 1000 Euro netto. Das klingt gar nicht so niedrig – ist es aber, bei genauerer Betrachtung.
Wer zum Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde in Vollzeit ackert, etwa als Zeitarbeiter, Altenbetreuerin, aber auch Freiberufler, der oder die kommt auf ein Nettoeinkommen von 1080 Euro im Monat. Lebt ein geringfügig beschäftigter Partner mit im Haushalt, sackt die Lebensgemeinschaft schnell ab in die Armut. Und das, obwohl die Leute häufig sehr anstrengende Tätigkeiten ausüben.
Es ist kein Gejammere auf hohem Niveau, wenn man sich vom Verdienst kaum noch die Miete in der Großstadt leisten kann. Wenn man kaum noch ein Auto finanzieren kann, obwohl man auf dem Land lebt mit schlechter Busverbindung. Wenn man Zahnkronen geschweige denn Implantate nicht bezahlen kann. Ganz abgesehen davon, dass man vom geringen Verdienst nichts sparen kann, obwohl man in einem Verschleißberuf die normale Rentenaltersgrenze kaum erreicht. Da klingt es wie Hohn, wenn Politiker gerade von den GeringverdienerInnen mehr „private Altersvorsorge“ fordern.
Die politische Sprengkraft liegt heute nicht mehr so sehr in den Arbeitslosenzahlen, die im Moment vergleichsweise gut aussehen – sondern in der großen Diskrepanz zwischen den Berufsgruppen, was Verdienst und Verschleiß angeht. Viele Arbeitende verfügen über eine so geringe Kaufkraft und Sparmacht, dass sie sich sozial abgehängt fühlen und vielleicht auch deshalb zum Rechtspopulismus tendieren. Die höhere Mittelschicht neigt dazu, die Probleme der Mindestlöhner nicht wahrzunehmen. Diese Einkommensschicht muss aber mehr in den politischen Blick.
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