: Der totale Profit
NS-VERSTRICKUNGENDas Symposium der taz.nord in der Bremischen Bürgerschaft beleuchtete, wie stark Fiskus,Firmen wie Kühne + Nagel sowie Privatleute an der Beraubung der Juden verdienten
Sie wirken wie Zeugen einer zweiten Deportation: Fotos riesiger Möbellager, von Lastwagen und Schiffen voller Tische und Schränke. Die Bilder stammen aus den 1940er-Jahren, und die Möbel hatten die Nazis deportierten Juden geraubt. Ein kaum bekannter Aspekt, auch weil das Sprechen über die materielle Seite des Massenmordes erst an zweiter Stelle kommt – verständlicherweise. Aber diese Facette ist wichtig, um zu begreifen, wie diese Profit-Trias aus Fiskus, Firmen und Privatleuten funktionierte.
Das auszuleuchten, war ein mit rund 150 Teilnehmern gut besuchtes Symposium der taz.nord am Donnerstag in der Bremischen Bürgerschaft angetreten. „Arisierung – vom Umgang mit dem Unrechts-Erbe“ hieß es. Der Initiator, Redakteur Henning Bleyl, hatte wiederholt berichtet, wie stark der Logistikkonzern Kühne + Nagel von Transporten jüdischer Möbel profitiert hatte, aus dem besetzten Westeuropa nach Deutschland, wo sie versteigert wurden. Der Konzern schweigt sich darüber bis heute fast komplett aus.
Zudem hatte die taz mit einem Wettbewerb einen Mahnmals-Entwurf ausgesucht, der vor dem neuen Firmensitz von Kühne + Nagel stehen könnte. Allerdings könnte ein Mahnmal an diesem Ort vom Profitieren breiter Schichten ablenken. Wichtige Akteure waren etwa die Gerichtsvollzieher: Sie entschieden, was Juden kostenfrei mit ins Exil nehmen konnten. Da gab es Spielräume, aber „es ist nicht bekannt, dass die Bremer je ein Auge zugedrückt hätten“, sagte Johannes Beermann vom Frankfurter Fritz-Bauer-Institut. Als Motivation profitierender Unternehmen machte Beermann Profitgier aus, nicht Rassismus – eine im Publikum umstrittene These.
Es ist schwer nachzuweisen, dass Firmenchefs die Herkunft der Möbel kannten. Denn, so die Wirtschaftshistorikerin Stefanie van de Kerkhof, Quellen fehlten oft. Erst seit den 1990er-Jahren gingen Firmen-Festschriften nicht mehr „mit dürren Worten“ über die NS-Zeit hinweg.“
Privatiers dagegen schon: Wenig Zuspruch erfährt bis heute etwa die Stiftung „Zurückgeben“, die Hilde Schramm betreibt, Tochter des Hitler-Architekten Albert Speer. Aus dem Erlös ererbter Gemälde, deren jüdische Herkunft sie vermutete, hat sie die Stiftung 1994 gegründet. Sie wollte „die Unrechtskette nicht fortsetzen“ und jüdische Künstlerinnen und Forscherinnen fördern. Das geringe Spendenaufkommen erklärt sie vor allem mit Scham: „Wer uns Geld gibt, glaubt wohl, das sei ein Eingeständnis.“ Petra Schellen
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