piwik no script img

„Antisozial und empathielos“

Terror In einem Gutachten für den NSU-Prozess kommt ein Gerichtspsychiater zu einem harten Urteil über Beate Zschäpe. Für die Angeklagte wird es nun eng

Beate Zschäpe auf einem Fahndungsfoto von 2011 Foto: Polizei Sachsen

aus München Konrad Litschko

Am Morgen weiß Beate Zschäpe noch nicht, dass es wieder ein schlechter Tag für sie wird. Diesmal ein richtig schlechter. Mit Zopf und im Karohemd betritt sie den Saal im Oberlandesgericht München, setzt sich neben ihren Anwalt Mathias Grasel. Zu Beginn geht es um eine Schlägerei in Jena 1998. Randgeschehen. Zschäpe hört teilnahmslos zu.

Dann aber verteilt das Gericht ein Gutachten an die Prozessbeteiligten, 173 Seiten stark. Der Schriftsatz war lange erwartet worden. Verfasst hat ihn der Gerichtspsychiater Henning Saß. Über Dutzende Prozesstage hat er Zschäpe beobachtet, auch an diesem Donnerstag ist er wieder da. Mit ihm reden will die 41-Jährige indes bis heute nicht.

Saß stützte sich deshalb auf die Akten, auf seine Beobachtungen – und auf die Aussagen Zschäpes, die sie, nach jahrelangem Schweigen, seit Dezember 2015 doch noch im Prozess machte. Und sein Befund ist vernichtend. Zschäpe sei voll schuldfähig, hält Saß fest. Mehr noch: Ihr Verhalten zeige „deutlich antisoziale Tendenzen“, sie zeige sich „manipulativ“, es mangele ihr an Empathie. Und ihre Distanzierung von den NSU-Taten sei nicht überzeugend.

Das Gutachten wird mitentscheidend für das Urteil der Richter sein. Im November soll Saß es vorstellen, es läutet die Schlussrunde des NSU-Prozesses ein. Im Prozesssaal blättert am Donnerstag Verteidiger Grasel durch die Seiten, Zschäpes Stimmung scheint verhagelt. Gestikulierend spricht sie mit Grasel, dann starrt sie vor sich hin, sammelt Krümel aus ihrer Laptop-Tastatur.

Das Gutachten schlägt einen weiten Bogen. Schon in ihrer Jugend habe Zschäpe Entwicklungen genommen, „die zunehmend in Dissozialität und Delinquenz führten“, konstatiert Saß. Die von Zschäpe eingeräumten „nationalistische Einstellungen“ nennt er „deutlich verharmlosend“. Die 41-Jährige sei, das hätten Zeugen geschildert, „durchaus ein energisches, wehrhaftes, eigenständiges und anerkanntes Mitglied in der rechten Szene“ gewesen.

Dass sich dies im Untergrund, in dem sich Zschäpe mit ihren Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seit 1998 befand, geändert haben könnte, sieht Saß nicht. Zschäpe selbst hatte geschildert, von den zehn Morden und zwei Anschlägen Böhnhardts und Mundlos’im Vorfeld nichts gewusst und diese stets verurteilt zu haben. Sie sei allerdings zu abhängig gewesen, um ihre Begleiter zu verlassen.

Saß meldet Zweifel an. Schließlich sei es Zschäpe gelungen, über Jahre im Untergrund in verschiedenen „Alias-Rollen“ eine Legende aufrechtzuerhalten, mit „Raffinesse“ und „extrem hoher Fähigkeit zu Camouflage“. Auch die wiederholten Camping-Urlaube mit ihren Begleitern, „in relativ enger Gemeinschaft“, sprächen nicht für ein Zerwürfnis. Die Urlaubsbilder, die ein entspanntes Trio zeigten, ebenso wenig. Saß verweist zudem auf Nachbarn, die Zschäpe als „aktiv, unterhaltsam, im Einklang mit der Gruppe“ geschildert hätten, „keineswegs wie ein Mensch, der durch Gewissenslasten niedergedrückt wäre“.

Auch im Prozess, fährt der Gutachter fort, wirke ihr behauptete Gesinnungswandel wenig überzeugend. Zschäpe präsentiere sich, als habe das Verhandelte „kaum etwas mit ihr zu tun“. Ihre Einlassungen seien „recht unpersönlich“ gewesen, ohne „spürbare Anteilnahme“. „Im Ausdrucksverhalten der Angeklagten ließen sich keine deutlichen Hinweise beobachten, die für eine Authentizität sprechen können“, resümiert der Gutachter.

Saß verweist auch auf den Streit Zschäpes mit ihren Pflichtverteidigern. Wiederholt hatte sie deren Entpflichtung beantragt, heute redet sie kaum ein Wort mehr mit ihnen. Dies zeige, so der Gutachter, dass Zschäpe durchaus „durchsetzungswillig war und ein entschiedenes, zuweilen fast feindselig anmutendes Verhalten zeigte“. Auch die Zeugenaussagen früherer Wegbegleiter, die Zschäpe als selbstbewusst beschrieben, sprächen nicht dafür, „dass sie sich über eine sehr lange Periode entgegen ihrer eigenen Auffassung in einer so wichtigen und dramatischen Frage wie dem Begehen einer Serie von Tötungshandlungen dem Willen der beiden Lebenspartner gebeugt hätte“.

Ihr Verhalten zeige „deutlich antisoziale Tendenzen“

Saß kommt zu dem Schluss: Aus heutiger Sicht könne „nicht festgestellt werden, dass ein grundlegender Wandel in Haltungen und Überzeugungen eingetreten ist“. Und er wagt eine Prognose. „Vielmehr müsste mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass bei entsprechenden Möglichkeiten eine Fortführung ähnlicher Verhaltensweisen angestrebt wird.“ Es ist ein folgenschwer Satz. Einer, den die Richter für eine Verhängung einer Sicherungsverwahrung nach einer Haftstrafe heranziehen könnten, sollten sie Zschäpe im Sinne der Anklage verurteilen: als Mörderin und vollwertige Mittäterin des NSU-Trios.

Körperliche oder psychische Erkrankungen, die ihre Schuld mindern und solch ein Urteil verhindern könnten, sieht Saß nicht. Selbst der stete Alkoholkonsum, den Zschäpe für die Zeit im Untergrund anführte, teils angeblich drei bis vier Flaschen Sekt am Tag, betrachtet der Gutachter nicht als schwerwiegend: Es gebe „Züge eines Missbrauchs“, diese aber nicht kontinuierlich. In diesen Fällen sei es wohl um ein „Erleichterungstrinken“ gegangen.

Selbst die Behauptung Zschäpes, stark betrunken gewesen zu sein, als sie am 4. November 2011 nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos das letzte Versteck des Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße anzündete, bezeichnet Saß als unplausibel. Dagegen spräche Zschäpes „geordnetes, motorisch koordiniertes und gedanklich umsichtiges“ Verhalten. Schließlich habe diese auch nach eigener Auskunft noch eine gebrechliche Nachbarin gewarnt und geschaut, ob Bauarbeiter im Haus waren.

Für Zschäpe sind all diese Einschätzungen verheerend. Vier Wochen ist es her, dass sie erstmals im Prozess selbst das Wort erhob – und die NSU-Taten verurteilte: die ihrer Kumpanen. Die Worte zielten auch in Richtung von Henning Saß. Überzeugt haben sie ihn offensichtlich nicht. Ein mildes Urteil für Zschäpe, es wird immer unwahrscheinlicher.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen