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Ortstermin am Sund

OSTSEE Der Bundestag will Finanzkonzepte für eine neue Brücke zwischen Festland und Fehmarn prüfen. Sein Verdacht: Die Bahn will Kosten auf den Steuerzahler abwälzen

von Sven-Michael Veit

Bettina Hagedorn hat die Faxen dicke. Einen detaillierten Bericht verlangt die Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses des Bundestags vom Berliner Verkehrsministerium – Thema: die baulichen Mängel der Brücke über den Fehmarnsund. Bis Ende des Monats wolle sie „nachvollziehbar Aufschluss“ haben über das Schicksal des 53 Jahre alten Bauwerks auf der Vogelfluglinie, stellt die SPD-Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein klar. Die Deutsche Bahn möchte die Brücke am liebsten durch einen Neubau ersetzen – wenn Dänemark dereinst den milliardenschweren Tunnel im Fehmarnbelt realisiert.

Es seien jedoch „keine überzeugenden Performances gewesen“, die Ministerium und Bahn bei zwei Präsentationen zur Fehmarnsund-Brücke vor dem Ausschuss abgeliefert hätten, sagt Hagedorn. „Deshalb machen wir jetzt einen Ortstermin auf der Brücke.“ Am 17. November wollen die Parlamentarier mit dem Bundesrechnungshof das Ministerium und die Bahn „mit den Realitäten konfrontieren“ und „die Zügel anziehen“, sagt Hagedorn. Und das meint die Ausschuss-Vorsitzende ernst: Ohne Zustimmung des Gremiums fließt kein einziger Euro.

Hinter den Kulissen gibt es den Verdacht, dass Bahn und Ministerium die Sanierung der betagten Brücke verschleppen, um einen Neubau durchzusetzen. Den müsste der Bund bezahlen – und die Bahn würde viel Geld sparen. Auf rund 21 Millionen Euro wird der Sanierungsstau für die alte Brücke geschätzt, für 5,9 Millionen Euro würde die Bahn nur die gröbsten Schäden beseitigen lassen. Darüber sei der Ausschuss „sehr ungehalten“, sagt Hagedorn.

Vier Varianten einer künftigen Fehmarnsund-Querung überprüft das Verkehrsunternehmen derzeit: zwei Brücken- und zwei Tunnelbauten, jeweils für eine vierspurige Straße und zwei Bahngleise. Die alte Brücke habe „eine geringe beziehungsweise keine Restnutzungsdauer“, besagt eine statische Untersuchung aus dem Jahr 2013 unter Hinweis auf „Materialermüdung für einzelne wichtige Träger und Pfeiler“. Diese Prognose bezieht sich darauf, dass nach Fertigstellung einer festen Fehmarnbelt-Querung täglich bis zu 78 schwere Güterzüge über den Sund fahren sollen. Diese wären mit knapp 900 Metern fast so lang wie die Brücke selbst – und würden sie folglich mit ihrem gesamten Gewicht belasten. Der „Kleiderbügel“, wie der Volksmund sie nennt, könne „die zu erwartenden Mehrverkehre nicht tragen“, so die Auskunft der Bahn. Und deshalb sei ein Neubau „unumgänglich“.

Überforderter Kleiderbügel

Die Meerenge Fehmarnsund trennt die Ostseeinsel Fehmarn vom schleswig-holsteinischen Festland. Der Sund verbindet die Kieler und die Lübecker Bucht, ist etwa acht Kilometer lang und zwischen 600 und 900 Meter breit.

Die Brücke:Sie ist 963 Meter lang, mit landseitigen Rampen 1.300 Meter. Sie trägt zwei Fahrspuren, ein Bahngleis und einen Fuß- und Radweg. Für den Verkehr freigegeben wurde sie am 30. April 1963.

Das Denkmal: Seit 1999 steht der „Kleiderbügel“, so der Kosename der Brücke, unter Denkmalschutz.

Der Neubau: Nach Fertigstellung der Fehmarnbelt-Querung zwischen Dänemark und Fehmarn sollen bis zu 860 Meter lange Güterzüge über den Sund rollen. Dieser Belastung ist die alte Brücke nicht gewachsen.

Ursprünglich sollte der von Dänemark zu bauende Ostsee-Tunnel im Fehmarnbelt im Jahr 2021 fertig gestellt sein und rund vier Milliarden Euro kosten. Nach aktuellen Berechnungen wird er mindestens 7,4 Milliarden Euro kosten und frühestens 2028 fertig, Skeptiker prognostizieren Mitte der 2030er-Jahre. Die deutsche Anbindung von Fehmarn über den Sund bis Lübeck wurde einst auf 850 Millionen Euro taxiert, Inbetriebnahme 2025. Auch das dürfte mindestens drei Jahre später werden, die Kosten gibt die Bundesregierung mit mindestens 2,2 Milliarden Euro an.

Da sind neue Brücke oder neuer Tunnel aber noch nicht berücksichtigt: Je nach Variante dürften die Kosten auf etwa drei Milliarden Euro steigen. „Völlig verkorkst“, nennt der schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Grüne) die Planungen.

Hagedorn setzt auf „eine Lernkurve“ bei Bahn und Ministerium. Für den 2. Dezember hat sie Bahnchef Rüdiger Grube vor den Ausschuss geladen, um über die Erkenntnisse aus dem Ortstermin auf der Brücke zu reden. Denn so, stellt Hagedorn klar, „geht das nicht weiter“.

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