piwik no script img

Analoges Bücherkaufen beinahe wieder da

Einzelhandel In der Neustadt eröffnet ein neuer Buchladen: ein Offline-Ladenlokal wie früher, aber mit ange-schlossenem Internetportal. Eine Kombination, die zukünftig ein echtes Gegengewicht zu den ständigen Ladenschließungen werden könnte

Wie kommt jemand im Jahr 2016 noch auf den Gedanken, es könne sich lohnen, eine Buchhandlung zu eröffnen? Ist das Geschäft mit Literatur nicht längst ins Digitale abgewandert, das gebundene Buch ein Relikt vergangener Zeiten?

Anfang des Monates hat der studierte Volkswirt Sven Odens die Buchhandlung „Buntentor“ im Buntentorsteinweg 107 eröffnet. An die hundert Besucher seien es am Eröffnungstag gewesen, erzählt der Inhaber, „ganz normale Leute und solche aus dem kreativen Milieu“. Und das, obwohl im Voraus nicht viel Werbung gemacht wurde. Die Flyer wurden erst kurz vor Eröffnung fertig, eine Pressemitteilung gab es nicht. „Ich bin nun mal keiner, der laut nach Aufmerksamkeit schreit“, sagt Odens.

Man sieht es dem Laden an. Nichts ist hier prätentiös, dennoch ist die individuelle Note nicht zu übersehen: Als Belletristikwand nutzt Odens zum Beispiel das alte maßangefertigte Apothekenregal, das bereits vor sechzig Jahren in diesem Raum stand und seit den 1970er-Jahren in der Wohnung der Ladenverpächterin verwahrt wurde. Am Eröffnungstag lagen kleine Geschenke wie Stempelkissen und Lesezeichen in Schubladen mit Aufschriften wie „Wermut“ oder „Arnikaholz“. Den Rest der Räumlichkeiten – ein kleines Nebenzimmer ist allein Kinder- und Jugendbüchern gewidmet – zieren neu angefertigte Konstruktionen aus Kiefernholz und schwarzem Stahl.

Die Materialien sind Teil von Odens Konzept. „Online-Shopping kann das Stöbern nicht ersetzen. Das Haptische ist doch das Entscheidende an Büchern“, erläutert der 38-Jährige, „und deshalb habe ich mich auch bei der Einrichtung für massive Materialien entschlossen.“

Doch auch, wer sich auf eine enge Nachbarschaftsbindung konzentrieren möchte, kann sich der Digitalisierung nicht gänzlich verschließen. Dies bestätigt auch das aktuelle Mediendossier des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Das sogenannte Cross-Channeling, die Verknüpfung von Online-Service und individueller Beratung vor Ort, ermögliche kleinen, unabhängigen Buchhandlungen trotz der generellen Rückläufigkeit an Buch-Verkaufsstellen, sich auf dem Markt zu behaupten. Daher sind Neugründungen auch gar nicht so selten, wie man meinen könnte: 140 neue Buchgeschäfte wurden in den vergangenen zwei Jahren eröffnet.

Seine Buchhändlerausbildung hat Odens in der Nähe von Hamburg absolviert. „In dieser Zeit habe ich“, beginnt er und erhebt sich aus einem der Lesesessel, um ein Buch aus dem Regal zu ziehen, „über diesem Laden gewohnt.“ Das ausgewählte Buch ist Heinz Strunks in diesem Jahr veröffentlichte „Der goldene Handschuh“ – der Roman, der die Geschichte des Massenmörders Fritz Honka erzählt, der seine Opfer in der titelgebenden 24-Stunden-Kneipe auflas. Und solche Anekdoten kann Amazon tatsächlich nicht bieten. Mirko Stehr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen