piwik no script img

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Kunstbuch Jahrmarkt der Eitelkeiten: „100 Secrets of the Art World“ von Thomas Girst und Magnus Resch verrät mehr oder weniger geheime Geheimnisse

Wer keine VIP-Card hat, soll sich auf die Presseliste setzen lassen, plaudert Philip Tinari, der Direktor des Ullens Center for Contemporary Art in Beijing aus dem Nähkästchen: „Leidenschaftliche Möchtegern-Kritiker und junge Kuratoren, die gerade starten, können so eine Menge Geld sparen und sie haben ein handfestes Motiv, ihre Gedanken über die Messe, die Biennale oder Ausstellung niederzuschreiben und zu veröffentlichen.“ Es sei ja ein interessantes Paradox, dass die Kunstwelt unbedingt Exklusivität herstellen müsse und gleichzeitig doch um breite massenmediale Aufmerksamkeit bemüht sei.

Hundert mehr oder minder prominente Künstler, Kuratoren, Kritiker, Museumsleute, Kunsthistoriker und -theoretiker, Galeristen und Sammler haben Thomas Girst, dem Kulturmanager von BMW, und dem Autor Magnus Resch auf deren Frage nach den Geheimnissen der Kunstwelt geantwortet. Viele von ihnen meinten, Geheimnis gäbe es, zumal in Zeiten von Social Media, gar nicht.

Isabelle Graw, Herausgeberin von Texte zur Kunst und Professorin an der Städelschule in Frankfurt am Main, nennt dann aber doch ein Tabu-Thema des Kunstbetriebs beim Namen: die Ängste. Die Angst, die soziale Position einzubüßen; die Angst vor der Erfolglosigkeit; die Angst vor einer unvorhersehbaren, unberechenbaren Zukunft und die Angst, jemand könnte entdecken, man sei nicht so kompetent und toll wie allgemein angenommen.

Was ist überhaupt ein Geheimnis?, fragt man sich im Laufe der Lektüre. Ist ein Geheimnis nicht etwas, zu dem schon per definitionem keine Aussage gemacht werden kann, weil man ja nichts davon weiß? Oder ist es etwas, das zwar bekannt ist, von dem man aber nichts wissen will? Eine unbequeme Wahrheit? Oder ist es etwas, das an sich offen zutage liegt, auf das aufmerksam zu machen sich aber trotzdem lohnt, weil es zu wenig beachtet wird, obwohl es einen interessanten Aspekt im Umgang mit der Kunst aufzeigt? Oder gibt das Geheimnis der Kunstwelt den Befragten nur eine weitere Bühne für Selbstdarstellung und die ganz großen Weisheiten?

So wie der isländische Künstlerstar Ólafur Elíasson verkündet, dass tatsächlich die Kunst dich willkommen heißt, dass tatsächlich sie, wie nichts anderes sonst, Vertrauen schafft, in Konflikten vermittelt, und – man staune und wundere sich – das beste Parlament aufstellt, etc. etc.; fast so tiefsinnig ist dann auch der milliardenschwere Investor Nicolas Bergruen: „Erlebe und kaufe Kunst mit deinen Augen.“ Und ein bisschen lustiger Thomas Demand: „Every name in the artworld is written with a pencil.“

Dass er englisch schreibt, ist keine Marotte, 100 Secrets ist eine englischsprachige Publikation. Ihre erfreulich aufwendige typografische Gestaltung hat freilich eine – wahrscheinlich unbeabsichtigte – Ironie zur Folge: Nicht immer, aber sehr oft weist ein besonders interessantes Design auf einen etwas weniger interessanten Gedanken hin. Das gilt jedoch nicht für ­Nicholas Logsdail, Leiter der Lisson Gallery London, Mailand und New York, der die Kunstgalerie als einen der angenehmsten Zufluchtsorte empfiehlt, sei es, um dem Wetter zu entkommen, oder um einfach mal ganz bei sich sein. Dem bleibt nur anzufügen, dass die Galerie in dieser Hinsicht der viel freundlichere und entgegenkommender Ort ist als die Kirche.

Brigitte Werneburg

„100 Secrets of the Art World“. Ed. by Thomas Girst & Magnus Resch. Design by Studio Umlaut. Buchhandlung Walther König, Köln 2016, 144 S. mit 8 Abb., broschiert, 9,95 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen