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Die Augen suchen nach Bewegung

Kino Was man sieht und was man nicht sieht, beschäftigt Blinde, bildende Künstler und Filmemacher. Um sie kreisen die Essayfilme des Festivals Doku.Arts, das heute im Zeughauskino beginnt

von Carolin Weidner

Eine Kamera betreibt penible Spurensicherung: Sie sieht, was uns entgeht. Sie bewahrt Momente, die ob ihrer Deutlichkeit beirren. Nicht selten ist sie die bessere Beobachterin. Und wer filmt, der verändert unweigerlich auch sein Sehen. Die Kamera ist ein nimmermüdes Auge. Das Doku.Arts-Festival, das zwischen dem 6. und 23. Oktober im Zeughauskino unter dem Titel „Essaydox“ eine Reihe von Filmen und ein Symposium (am 7. Oktober sprechen u. a. Thomas Elsaesser, Sarah Cooper, Igor Krstić und Bo Wang) zum Thema Essayfilm präsentiert, scheint in diesem Jahr besonders von der Beziehung Kamera/Auge fasziniert.

„Notes on Blindness“

Vielleicht liegt es daran, dass vielen Essayfilmen eine Selbstbefragung inhärent ist: Wer filmend um einen bestimmten Komplex zirkuliert, gern frei schwebend, gern entbunden von Form und Konvention ist, der thematisiert auch sein eigenes Verhältnis zum Sehen und zur Kamera. Beziehungsweise sein Nichtsehen, seine Blindheit. Wörtlich nehmen einige Filme diese Beschäftigung, etwa der Eröffnungsfilm des Festivals „Notes on Blindness“ (GB/F 2016) von Peter Middleton und James Spinney.

In ihm soll das Erleben von John Hull sichtbar werden, einem 1935 sehend geborenen Theologen, der wegen Katarakt (Grauer Star) eine sukzessive Erblindung durchlebt. Seine Erfahrungen hat er in dem Buch „Touching the Rock: An Experience of Blindness“ aus dem Jahr 1990 verarbeitet, das wiederum auf Aufzeichnungen seines ­Audiotagebuchs basiert.Hulls Blindheit hat einen Grad erreicht, der sich „Deep blindness“ nennt – die Erinnerung an das Sehen selbst ist verschwunden. „Blindness is a world“, sagt er. Und für diese versuchen Middleton und Spinney Bilder und Töne zu finden.

Eine andere Geschichte erzählt Gary Torn in „Black Sun“ (GB 2005), doch auch sie hat mit Blindheit zu tun. Sie handelt vom französischen Maler Hugues de Montalembert, dem Einbrecher 1978 Lösungsmittel in die Augen schütteten, was zum vollständigen Verlust seiner Sehfähigkeit führte. „It’s a new world“, bekundet Montalembert ähnlich Hull. Und Torn, den die Filmarbeiten für „Black Sun“ unter anderem nach Island und Indien lenkten, betreibt wiederum eigene visuelle Übersetzungsarbeit entsprechend der Aufzeichnungen des Künstlers.

Eine Form von Übersetzung sind auch die Monumente, die den libanesischen Fotografen und Dokumentaristen Fadi Yeni Turk in seinem sehr sehenswerten Film „Monumentum“ beschäftigen: Dutzende von ihnen begegnen ihm in der arabischen Welt, jedes Objekt Repräsentant einer bestimmten Ideologie, Geschichtsschreibung, Zukunftsvision. In „Monumentum“ werden die teils riesigen Bronzefiguren, teils Pappaufsteller oder Re­liefs, lebendig. Wenn ein Körper in Tüchern verhüllt und im Anhänger verladen über unebene Straßen holpert, dann sieht es aus, als würde eine Leiche transportiert.

Etwas hat gesehen. Etwas hat ausgeführt. Etwas hat nichts mitbekommen

„I stood still before them, contemplating und wondering, why I have not stood and contemplated them before“, reflektiert Fadi Yeni Turk seine Beziehung zu den Statuen (einst) mächtiger Führer, Könige, Prinzen. Und auch über das Auge, das Sehen: „The eyes usually look for movement, they grow tired of immobility. Strange is how every movement ends with stillness. Stranger is that stillness is destined to move.“

Der Film „Call Her Apple­broog“ der New Yorker No-Wave-Regisseurin Beth B enthält ähnliche Gleichzeitigkeit. Existieren in „Monumentum“ Stillstand und Bewegung trotz begrifflicher Gegensätzlichkeit parallel, ist es in „Call Her Apple­broog“ eine Art unbewusster Bewusstheit oder sehender Blindheit. Beth B porträtiert in ihrem Film die eigene Mutter, die Künstlerin Ida Applebroog. In einer Szene spricht Apple­broog über eine umfangreiche Serie intimer Selbstbildnisse – Zeichnungen ihrer Vagina, angefertigt in scheinbar essenziellen Momenten des Rückzugs. Viele Jahre später entdeckt Apple­broog den Papierstoß. Und kann sich an nichts erinnern. Etwas hat gesehen. Etwas hat ausgeführt. Etwas hat von alldem nichts mitbekommen.

Die Zeit hingegen so zu verlangsamen, so zu dehnen, dass sie bearbeitbar wird, ja, dass man sich ihr vielleicht sogar entziehen könnte – darum geht es in François Mirons „Paul Sharits“ (Canada 2014) über den gleichnamigen Avantgardefilmer. Eine Art Hyperbewusstheit für das Sehen mündete bei Sharits in einem Unterlaufen geschmeidiger Bildläufe. Das ergab Fluxus. Ein aus der Kontrolle geborenes Flackern, das aufzeigt, wie viel das Auge in jedem Moment sehen, jedoch unmöglich auch verarbeiten kann.

„Doku.Arts“, 6. bis 23. Oktober, Zeughauskino

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